Soforthilfe bei Stress und Burn-out
werden in zwei Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe hat sozusagen eine ideale Mäusekindheit mit immer freiem Zugang zu ihren gut genährten Müttern. Der anderen Gruppe wird die Kindheit erschwert, ihr Zugang ist innerhalb des ersten Lebensjahres nicht immer frei, sie müssen in unregelmäÃigen Abständen immer wieder warten, bis sie zu ihrer Mutter können, und dies bis zu maximal sieben Stunden Wartezeit.
Dann werden die Mäuse beider Gruppen in eingetrübtes Wasser mit nur einem nicht ganz leicht zu findenden Ausgang geworfen. Eine Gruppe hat keine Schwierigkeit damit, während die andere Gruppe die Aufgabe nicht lösen kann und stirbt.
Jetzt noch einmal die Frage: Welche Gruppe überlebt, die mit der leichten oder die mit der schwierigeren Kindheit?
Am Anfang haben mich die Antworten erstaunt. Später habe ich gemerkt, dass meine kleine Umfrage ein weitverbreitetes und tief sitzendes Denken zum Ausdruck bringt. Während die Gruppen im Normalfall meist geteilter Meinung sind und die Parteien sich zahlenmäÃig kaum voneinander unterscheiden, zeigt sich bei pädagogischen Berufsgruppen aller Art - egal ob Lehrer, Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter - ein anderes Bild. Dort wird immer wieder mit einer deutlichen Mehrheit (rund 80 Prozent) davon ausgegangen, dass jene Mäuse, welche schwierigere Bedingungen während des Heranwachsens hatten, die Gruppe der Ãberlebenden bilden würde. Von Mitgliedern pädagogischer Berufsgruppen wird offensichtlich angenommen, dass sich eine höhere Belastungserfahrung positiv auf die zum Ãberleben notwendigen Fähigkeiten auswirke und dass ein gewohnter Umgang mit Belastungen eine bessere Voraussetzung sei, schwierige Situationen zu meistern. Und die »verweichlichten« und »verwöhnten« Mäuse hätten schlechtere Voraussetzungen, sich einer schwierigen Aufgabe zu stellen.
Was stimmt nun? Die Mäuse mit dem freien Zugang zur Mutter hatten das Experiment überlebt - sehr zum Erstaunen der meisten von mir befragten Pädagogen. Einige von ihnen meinten bei der Präsentation des Ergebnisses
zudem, das Verhalten der Mäuse hätte nichts mit den Menschen zu tun, bei denen funktioniere es sicher ganz anders.
Es ist erschreckend, dass trotz aller öffentlich propagierten liberalen pädagogischen Konzepte die Grundlagen der schwarzen Pädagogik (Strafen und Defizitorientierung, Fehler ahnden) noch immer durch die Köpfe schwirren und in solchen Augenblicken den Weg nach auÃen finden. Alle modernen Erkenntnisse der Hirnforschung haben offensichtlich nur unzureichend zu einem Wandel der Ansichten geführt - und das, obwohl Forschungsergebnisse mit Schimpansen und Gorillas, die ein ähnliches Stresssystem wie Menschen haben, zeigen, dass das Experiment mit den Mäusen auf den Menschen übertragen werden kann. Stressfrei oder stressarm aufgewachsene Schimpansen und Gorillas können überlebenswichtige Aufgaben durchgängig besser lösen als die strapazierten Artgenossen. Bei diesen Versuchen konnte man auch das Stresshormon Cortisol messen. Bei den während des Heranwachsens »gestressten« Tieren wurde beim Lösen der Aufgaben der bis zu 40-fach höhere Cortisolwert registriert als bei den nicht gestressten Tieren.
Diese Ergebnisse lassen mich an alle Menschen, die Forderungen oder Anforderungen an ihre Mitmenschen stellen, appellieren:
Aufgaben aller Art können mit weniger Cortisol, also in einem gelassenen Zustand, besser, schneller und zielsicherer erledigt werden als in einem gestressten Zustand. Jeder Mensch hat seine eigene und sehr persönliche Stressanfälligkeit, die nicht willenssteuerbar ist.
Hier ist ein Paradigmenwechsel für Lehrer wie für Führungskräfte im Umgang mit ihren Mitarbeitern nötig.
Druck, auf untergebene Mitarbeiter ausgeübt, wird oft als eine Möglichkeit der Leistungssteigerung angesehen. Es gilt, Forderungen zu stellen, ohne dass diese die Stresshormonbildung in einem leistungsverhindernden Ausmaà begünstigen. Ein klarer Kopf hilft bei allen Aufgaben. Führungspersönlichkeiten, die hier kompetent sind, tragen maÃgeblich dazu bei, dass Burn-out in ihren Abteilungen nicht zum Problem wird.
Die eigenen Stressoren zu kennen, ist genauso wichtig, wie die Möglichkeit des Umlernens in Betracht zu ziehen. Wenn man sich aber in der Grundhaltung für »unstressbar« hält und glaubt, durch
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