Sokops Rache
Lächeln zwingt. Viel lieber würde der sich wahrscheinlich lauthals über ihn lustig machen, ihn, den Dorfdeppen, der die elementarsten Dinge über die Mobiltelefonie nicht zu wissen scheint. Henrys Kiefer knirschen vor Anstrengung, sich zu beherrschen. Doch er wird diesem Knilch nicht den Gefallen tun, Anlass für einen Bewährungswiderruf zu sein.
»Also, wie bekomme ich ein Telefon, ohne dass Sie eine monatliche Gebühr kassieren?« So viel hat er verstanden, dass es für seine Zwecke am günstigsten sein wird, keinen Vertrag abzuschließen.
Der widerwärtige Dynamiker nimmt noch einmal Anlauf. »Natürlich können Sie eine Prepaidkarte von mir bekommen. Haben Sie denn ein Handy?« Er blickt zweifelnd an Henrys Gestalt hinunter. »Denn wenn Sie keins haben, lohnt sich ein Vertragsabschluss mit unserem günstigen Startuptarif für Sie allemal. Da bekommen Sie das neueste Nokiamodell gratis dazu.« Er strahlt seinen Kunden an, als hätte er ihm gerade eine Dauerkarte für das Schweriner Staatstheater versprochen. Ach nein, wohl eher für Hansa Rostock.
Henry holt tief Luft. »Hören Sie, ich wiederhole mich nicht gern. Es mag Ihnen zwar seltsam erscheinen, dass ich so wenig über Ihr Fachgebiet weiß«, er deutet auf die Vitrine, »aber mich interessiert Ihr Verkaufsgeplänkel nicht. Geben Sie mir so eine Karte, dann nehme ich noch das da«, er zeigt auf ein silberfarbenes, schmales Gerät, »und dann haben wir beide das, was für uns maximal aus dieser Situation herausspringt.«
Sein neuer Personalausweis kommt zum Einsatz, er blättert die noch immer ungewohnten Euroscheine auf den Tresen und dann ist er im Besitz eines Gerätes, mit dem er zu jeder Zeit, an jeder Stelle telefonieren kann. Verrückt. Natürlich hat er schon Handys gesehen – illegal in die Haftanstalt eingeschleuste Geräte – weiß, dass man mit ihnen sogar Fotos machen und Musik hören kann. Er kann mit einem Computer umgehen, ist sich durch sein Fernstudium auch darüber im Klaren, was man alles mit dem Internet anstellen kann – obwohl sie seinen Zugang in Waldeck auf die Seiten der Fernuni beschränkt haben. Dennoch kommt ihm der winzige Apparat in seiner Hand ein wenig wie ein Ding aus einem Sciencefiction-Film vor. Jetzt braucht er dringend ein Telefonbuch von Wismar. Er tigert eine halbe Stunde durch die Altstadt, findet nirgendwo eine öffentliche Telefonzelle. Dann dämmert ihm, dass es die vermutlich schon längst nicht mehr gibt. Alle haben doch heute ein Handy. Jeder Dritte, dem er begegnet, hält so eins am Ohr, telefoniert während des Gehens, Einkaufens oder im Café – sogar beim Fahrradfahren hat er telefonierende Leute beobachtet. Was haben die sich nur alle zu erzählen? In der Filiale der Post – immerhin die gibt es noch – bekommt er schließlich ein Telefonbuch. Sein Finger fährt über die Seiten. Stamm, Stankowski, Sternberg, Stoll, Strack, Strogalski. Strom. Bärbel, Kurt. Rainer. Da ist er. Kaum zu fassen, aber er ist noch immer hier, wohnt wie früher in der Bauhofstraße, in einem der drei papierschmalen Etagenhäuser aus dem vorletzten Jahrhundert, direkt am Lindengarten. Rainer und sonst keiner. Er spürt, wie sein Puls rast. Jetzt keinen Fehler machen. Sein alter Kumpel und Gehilfe kann ihm nützlich sein, denjenigen zu finden, der sein verpfuschtes Leben auf dem Gewissen hat. Genauso kann er ihm aber auch gefährlich werden, wenn er begreift, weshalb Henry wieder hier ist. Rainer Strom mag zwar ein einfacher Charakter sein, dumm ist er auf keinen Fall. Henry notiert sich die Nummer und tritt hinaus auf die Mecklenburger Straße. Er wird sich zunächst einmal dort umsehen, wo er damals seine Geschäfte betrieben hat.
Wenig später schlendert er an den Gebrauchtwagen entlang, die auf dem Sandplatz am Weidendamm stehen. Schon damals, gleich nach dem Mauerfall, war dies der Ort gewesen, an dem der private Automarkt stattfand. Damals wie heute klemmte der Verkäufer einfach seine Telefonnummer hinter die Scheibe. Nur dass in jenen Jahren 40 bis 50 Autos statt wie jetzt sechs hier standen, von denen durchschnittlich zehn zum Sokopschen Wagenpark gehörten. Henry erinnert sich gern zurück. Hatte damals doch so etwas wie Goldgräberstimmung in der Luft gelegen. Er selbst hatte nicht mehr zu tun, als ans Telefon zu gehen, wenn sich ein Kaufinteressent meldete, ihm den betreffenden Wagen vorzuführen, dabei das Blaue vom Himmel herunterzulügen über Zustand, Leistung, Langlebigkeit und dann das Geld
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