Solange die Nachtigall singt
mögen nicht zu nass sein. Sie waren trocken. Er fing an, dünne Zweige zu sammeln, die er um die Leiche herum aufschichtete, Zweige, auf denen sich der Schnee nicht gehalten hatte. Birkenrinde brennt, hörte er Matti am Telefon wieder sagen, selbst wenn sie feucht ist. Wir haben das mal in der Schule gelernt …
Wie unendlich lange es her war, dass er mit Matti in einem Klassenzimmer gesessen hatte. Wie unschuldig sie damals gewesen waren! Sie hatten nichts gewusst von der Liebe und von der Schönheit und vom Tod. Und Matti wusste vielleicht noch immer nichts von alledem. Jari begann, hektisch zwischen den Bäumen hin und her zu rennen und nach einer Birke zu suchen. Endlich fand er eine, ein ganz junges Bäumchen mit dünnem Stamm. Er schälte ihre Rinde mit seinem Messer ab und wusste, dass die Birke sterben würde. Er brauchte all ihre Rinde, um sie zwischen das Reisig zu stecken.
Und dann kniete er auf dem Boden und beobachtete, wie die orangefarbene Flamme langsam wuchs, um sich griff … Der Geruch von schmelzendem Plastik ließ ihn aufspringen und zurücktreten, der Gestank von verbrennendem Haar und, schlimmer noch, der süßliche Geruch von verkohlendem Fleisch. Die Leiche würde nicht ganz verbrennen, er wusste, dass es dazu nicht reichte, aber wenigstens würde ihre Oberfläche verkohlen, würden die Fingerabdrücke getilgt. Jari wusch das Blut mit Schnee von seinen Händen, warf einen letzten Blick auf das ersterbende Feuer. Dann drehte er sich um und ging in den Wald, so schnell er gehen konnte, ohne zu rennen.
Wie unwirklich die glitzernde Schönheit des Winterwaldes war, durch die er floh! Er sah ein Reh zwischen den Bäumen stehen und ihn beäugen, er sah jetzt auch die Vögel in den hohen Ästen, es war, als hätte der Schuss ihm die Augen geöffnet. Sie waren alle noch da, die Geschöpfe des Waldes. Er entdeckte sie in ihren Zwischenräumen. Keine Straße, kein Baulärm würde sie stören. Aber irgendwo auf einer Lichtung war der Schnee rot gefärbt von Blut.
Jari hatte jetzt einen Teil des Waldes erreicht, wo die Schneeverwehungen höher waren, seine moosgrünen Stiefel sanken bei jedem Schritt tief ein, er kam nur noch mühsam voran. Er dachte an Tronkes Skier zurück und verbot sich den Gedanken. Er durfte nicht umdrehen. Er musste weitergehen, egal wie lange er brauchte. Es war heller Tag, und er würde den Weg aus dem Wald so lange suchen, bis er ihn fand. Es war, als wäre er aus einem langen Traum erwacht, er sah jetzt, zu was er geworden war, und er rannte vor sich selbst davon: vor dem Jäger, dem Grausamen, dem Gnadenlosen, er hetzte sich selbst zwischen den Winterbäumen. Niemand durfte wissen, dass sie eins waren, er und der Jäger, kein Mensch durfte je erfahren, was er getan hatte.
Nach einer Weile wurde er ruhiger. Natürlich würde niemand Tronkes Leiche finden. Wer auch? Es war Unsinn gewesen, sie anzuzünden, Unsinn, die Fingerabdrücke zu tilgen. Lächerlich. Die Wildschweine oder die Wölfe würden den Rest des Körpers fressen, es würde nichts davon übrig bleiben als Knochen. Genau wie die Knochen des Toten, den er bei der Fliegenpilzlichtung gefunden hatte. Wer war er gewesen, dieser Tote?
Es war nicht wichtig, sagte Jari sich. Es hatte nichts mehr mit ihm zu tun. Er ging wieder rascher, trotz seiner Erschöpfung. Er dachte an seine Mutter. An Weihnachten. An die Küche zu Hause, an seinen Vater, der den Baum aufstellte, an die Christmette. Er würde mit ihnen dorthin gehen, schweigend, er würde ihnen nichts von dem erzählen, was geschehen war, würde irgendeine Geschichte erfinden. Er würde zwischen seinen Eltern in der harten Kirchenbank knien und all die Leute um sich herum betrachten, die zu ihrem makaberen Gott beteten. Und er würde versuchen, zu vergessen, dass jeder ein Gott sein konnte, der ein Gewehr in Händen hielt. Er würde versuchen, Tronkes Blut zu vergessen, die dunklen Augen der drei Mädchen, ihre Hände, ihre Körper … Er dachte auch an Matti, auf dessen Fensterbrett er wieder sitzen würde. Wie er sich nach diesem schmalen Fensterbrett sehnte!
Er war erstaunt, als er tatsächlich die Klamm erreichte. Die Nebel zogen bereits heran, aber er hatte die Klamm gefunden. Dies war erst die Hälfte des Weges, natürlich. Jari blieb stehen und nahm das Gewehr von der Schulter. Legte es in den Schnee. Griff in die Tasche der Lammfelljacke, um die Ersatzmunition herauszunehmen und danebenzulegen.
Und da fand er etwas. Er fand das Handy.
Hatte es die
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