Solange die Nachtigall singt
Rauschen eingebildet haben.
»Kann ich … kann ich dir helfen? In der Küche?«
Sie schüttelte den Kopf. »Warte hier.«
Jari lehnte sich auf dem Sofa zurück und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Und je länger er sich umsah, desto mehr winzige, behagliche Dinge entdeckte er: Bücher in hohen Regalen, ein Schachspiel auf einem Beistelltisch, ein Cello, in die Ecke gelehnt, einen Notenständer. An einer fein geschnitzten spanischen Wand lehnte eine Harfe. Dahinter sah er einen kleinen Tisch mit einer Holzkiste, auf der sich Notenblätter stapelten. Auf dem Notenständer lag ein weiteres Instrument. Er stand auf und ging hinüber. Eine Oboe.
Als er über ihr dunkles Holz strich, kam Jascha zurück. Sie trug ein Tablett mit zwei dampfenden Tellern voll Nudeln, Fleisch und Gemüse, der Duft raubte ihm beinahe den Atem. Er war unglaublich hungrig.
»Spielst du all diese Instrumente?«, fragte er und hielt die Oboe hoch.
Sie schüttelte den Kopf, während sie die Teller auf einen weiteren Tisch stellte. »Nein. Lass uns essen.«
Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa, die Teller auf den Knien, und sahen in die Flammen, während sie aßen.
»Hast du das gemacht?«
»Das Essen?« Sie lachte. »Nein. Es ist vom Himmel gefallen.«
Sie saß ganz nah, ihre Schultern berührten sich beinahe. Sie roch nach Seife. Sie hatte geduscht. Wann? Wie konnte sie geduscht und Nudeln gekocht haben, während die Zeit im Wohnzimmer nur gereicht hatte, um vom Sofa aufzustehen und mit den Fingern das dunkle Holz einer Oboe zu betasten? Gab es unterschiedliche Zeiten in diesem Haus? Oder war sein eigenes Zeitgefühl angegriffen von der Müdigkeit?
Jascha goss Wein aus einer Karaffe in zwei silberne Becher. Sie sahen alt aus, verziert mit den Ornamenten einer vergessenen Zeit. Jascha hob ihren Becher, und als der Wein ihre Lippen benetzte, sah er, wie rot sie waren. Auch ihre Wangen waren rot, rot von der Wärme des Feuers. Er schob seinen Teller fort und streckte die Hand nach ihr aus, und sie nahm sie und hielt sie fest, doch gleichzeitig erlaubte sie der Hand nicht, ihr Gesicht zu berühren.
Schließlich gab sie sie wieder frei, und er griff nach dem zweiten Becher. Wollte sie nicht, dass er sie anfasste? Noch nicht? Wozu hatte sie ihn mitgenommen, wenn nicht, um sie zu berühren?
Der Wein schmeckte ungewohnt, und sie sah sein Stirnrunzeln.
»Das sind die Früchte des Waldes«, wisperte Jascha. »All die Beeren und Blüten, die im Geheimen in seinen Schatten wachsen.«
Jari trank den Becher leer, und beim letzten Schluck hatte er sich an den bittersüßen Geschmack gewöhnt. Das Licht im Raum wurde noch weicher, die Schatten, die das Feuer warf, tanzten um ihn, als wären noch mehr Gestalten im Raum. Er schloss einen Moment die Augen.
»Nein«, flüsterte er. »Wir sind allein.«
»Ganz allein«, flüsterte Jascha. »Aber nein, nein, das ist ja nicht wahr. Wir sind zu zweit.« Er spürte, wie sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte, und legte sein Kinn auf ihr weiches Haar. »Ganz allein zu sein ist schrecklich. Der Wind heult draußen, wenn du ganz allein bist, und klagt und weint in den Ästen. Die Kälte wird unerträglich kalt und die Dunkelheit unerträglich dunkel. Und in den Ecken lauert die Angst. Wenn du ganz allein bist im Wald, wirst du verrückt. Dann bist du verloren. Ausgeliefert. Hilflos. Dann hat dich die Nacht.«
Er zog sie in seine Arme, streichelte ihr Haar, ihr Gesicht, ihren Hals. Sie ließ es geschehen, mehr noch, sie suchte seine Nähe wie ein verlorenes Kind.
»Jetzt bleibt die Nacht schön draußen«, sagte er. »Der Zeisig ist vielleicht nur ein kleiner, unbedeutender Vogel. Nur ein Tischlergeselle. Aber wenn die Kälte kommt, kann er dich wärmen.«
Jetzt, jetzt, dachte er – da schlüpfte sie ganz plötzlich aus seinen Armen und stand auf.
»Lass mich für dich spielen, Cizek-Zeisig.«
Sie holte das Cello und setzte sich damit auf einen Lederhocker, der neben dem Sofa stand. Dann schob sie den langen Rock ein wenig hoch, nur ein wenig, öffnete die Beine, platzierte den hölzernen Körper des Instruments dazwischen und setzte den Bogen an. Und Jari biss sich auf die Lippen, um ruhig sitzen zu bleiben.
Ihre dunklen Augen ließen ihn nicht los, während sie begann, dem Instrument mit dem Bogen eine Melodie zu entlocken, ein Lied, süß und schwer wie das der Nachtigall. Die Töne stiegen bis zur Decke des hohen Raumes, glitten durch eine Ritze in der Schiebetür nach draußen,
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