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Solange die Nachtigall singt

Solange die Nachtigall singt

Titel: Solange die Nachtigall singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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mehrere.«
    »Wie das denn?«
    »Ich bin von … einem Lastwagen überrollt worden«, antwortete Jari und grinste. »Direkt an der … Autobahnausfahrt.«
    »Ich dachte, du bist im Wald?«
    »Ja. Ja, das … war ein dummer … Witz. Ich bin immer noch … hier.«
    »Bei ihr.«
    »Bei ihnen.«
    »Bitte wie? Ist sie jetzt schwanger, oder was? Mach keinen Unsinn …«
    »Das wäre etwas … schnell gegangen.« Jari lachte, doch er hörte, dass sein Lachen beinahe traurig klang. »Und dann … hätte sie sich durch … Parthenogenese vermehren müssen.«
    »Parthenogewas?«
    »…  nese. Die Art, wie sich … Läuse vermehren. Sie brauchen … keinen Partner dazu.«
    »Ach.« Matti schwieg einen Moment, aus dem Konzept gebracht. »Wann hast du vor, wieder nach Hause zu kommen?«
    »Bald. Bald«, sagte Jari. »Ich … habe gesagt, ich wandere drei Wochen, und vielleicht … bleibe ich ja stattdessen drei Wochen hier. Um die … Rippe auszukurieren.«
    »Jari.«
    »Ja?«
    Matti schien zu zögern. »Du … bist seit vier Wochen weg.«
    Jari hielt das Handy vom Ohr und starrte es an, als wäre das Gerät schuld an dem, was Matti sagte.
    »Nein«, sagte er schließlich ins Telefon. »Das … stimmt nicht. Eine vielleicht.«
    »Deine Mutter hat mich gefragt, ob ich weiß, wo du bist.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Dass du mit der Liebe deines Lebens ein Mooshotel in einer Höhle aufgemacht hast. Und dass ich dich auch nicht erreiche. Deine Mutter fand die Sache mit dem Mooshotel nicht lustig. Kann es sein, dass sie keinen Humor hat?«
    »Das«, sagte Jari und seufzte, »kann sein.«
    »Cizek, was ist los? Wirst du zum Waldschrat? Hör mal, ich vermisse jemanden, mit dem ich auf meiner Fensterbank Bier trinken kann. Du kannst nicht für immer im Wald bleiben. Bei ihr.«
    »Bei ihnen. Es sind zwei, Matti. Zwei … Mädchen. Ich wusste es … zuerst nicht. Zwillinge. Ich kann sie nicht auseinanderhalten.«
    »Die Liebe deines Lebens sind zwei Mädchen?« Er hörte Mattis aufgerissene Augen durchs Telefon; er konnte sich vorstellen, wie Matti sich mit einer Hand durchs wirre Haar fuhr und es noch wirrer machte. Wie er zerstreut seine Zigarette in einem Blumentopf ausdrückte und eine neue anzündete.
    »Ich weiß nicht, wo du … das mit der Liebe herhast. Ich habe nie etwas davon erzählt, dass ich sie … liebe.«
    »Warst du immer noch nicht mit ihr … ich meine, mit ihnen , mit einer von ihnen … im Bett?«
    »Nein. Matti, du … verstehst nicht, worum es geht.«
    »Nein.«
    Jari seufzte. »Ich … auch nicht. Aber es hat nichts mit … Liebe … zu tun.«
    Eine Weile sagte Matti nichts. Jari hörte, wie er an einer Zigarette zog. »Bist du sicher?«, fragte er schließlich.
    »Ja«, sagte Jari. »Fast.«
    Er unterbrach die Verbindung und ließ sich zurück aufs Bett sinken. Es regnete noch immer.
    »Matti«, flüsterte Jari, als könnte Matti ihn noch immer hören. »Verdammt, du hast recht! Ich liebe. Ich liebe das Mädchen mit dem traurigen Lächeln, das Angst hat vor der Stimme einer winzigen Nachtigall. Aber ich weiß nicht, welches Mädchen das ist. Vielleicht ist es ein Teil von beiden …« Er spürte den roten, heißen Schmerz wieder durch seine Brust jagen. Die verdammte Rippe. »Ich liebe irgendetwas, irgendwen«, flüsterte er. »Und ich fürchte, deshalb bleibe ich.«
    Eine Weile lag Jari still da und sehnte sich nach Matti. Nach Bierflaschen. Nach unaufgeräumten winzigen Küchen. Nach allem, was er außerhalb des Waldes zurückgelassen hatte. Dann beschloss er, dem Sehnen ein Ende zu setzen. Er war dabei, ein anderer zu werden. Kein Lehrling, kein Sohn, kein geduldig zuhörender Freund mehr. Was dann? Er wusste es nicht. Noch nicht. Er würde es herausfinden. Doch dazu musste er es geschehen lassen.
    So stand er auf, mühsam, und hievte das Zelt von der Stuhllehne. Rollte es zusammen, schwer atmend. Kickte es mit einem Fuß unters Bett, weit, weit nach hinten. Stopfte die Plastikbrotdose in den Rucksack und kickte ihn hinterher. Am Ende legte er die Kleider zusammen, alle, sehr ordentlich. Und fiel schließlich zurück aufs Bett.
    »Na, dann komm doch«, flüsterte er. Er sprach zu der Schönheit, der Unwirklichkeit, der Welt des Waldes. »Komm doch, und mach mich zu was immer du willst. Ich bin bereit. Jetzt bin ich wirklich bereit.«
    In dieser Nacht weinte das Kind wieder. Jari lag still und lauschte. In seinem Kopf drehte sich alles, als hätte er schon wieder zu viel getrunken.

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