Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
sind noch nicht ganz aus der Sprenggrube entkommen, als ein leuchtend gelber Lichtblitz mich aus dieser Welt herausreißt. Eine Feuerwalze rast glühend heiß an mir vorbei, während mich zeitgleich etwas Großes, Schweres hart am Rücken trifft. Eine unsichtbare Kraft erfasst mich und schleudert mich durch ein Nichts, dann schlage ich dumpf auf den Erdboden auf. Den Explosionsknall nehme ich eigenartig gedämpft und wie aus weiter Ferne wahr. Mir geht durch den Kopf, dass das unmöglich der gesamte Sprengstoff mit der Treibladung in der Grube gewesen sein kann, der da detoniert ist. In dem Fall wäre alles, selbst der tonnenschwere Kranwagen, zerrissen und weggeblasen worden.
Blitzartig bin ich auf den Beinen und suche nach Lancer. Wir standen ja einen Wimpernschlag zuvor noch nebeneinander an der Schräge der Grube. Ich erkenne schemenhaft eine Hand neben mir und will meinen Buddy hochreißen. Den abgetrennten Arm, den ich daraufhin ungläubig anstarre, werfe ich mit Schaudern zu Boden. Ich stürme vorwärts und sehe außerhalb der Grube einen Soldaten in zerrissener Tarnkleidung wie eine hingeworfene Stoffpuppe rücklings auf der Erde liegen. Das muss Lancer sein. Im Lauf packe ich ihn an seiner rechten Schulter und brülle ihn an: »Komm, weg hier!« Seine Gesichtszüge sind nicht zu erkennen, ich blicke in ein von schwarzroten Punkten übersätes Antlitz. In dem Moment, da ich ihn berühre, reißt er die Augen mit einem Ausdruck auf, als wäre er sich eben bewusst geworden, dass die Gefahr noch nicht überstanden ist. Mit einem Satz ist er auf den Beinen und läuft neben mir los. Wir brauchen kein Wort zu wechseln, wir wissen, was zu tun ist. So schnell die Beine uns tragen, sprinten wir Deckung suchend aus dem Gefahrenzentrum.
Mein Blickwinkel fokussiert sich zu einem kleinen Kreis, in dem ich alles in farblos grauen Schattierungen wahrnehme. Mein Buddy verschwindet rechts von mir aus dem Bild. Neben einem Fahrzeug, das ich unterbewusst noch als einen Wolf erkenne, versagen mir die Beine. Mein Zeitgefühl ist außer Kraft gesetzt, ich meine aus einer kurzen Besinnungslosigkeit aufzuwachen. Das Geschehen um mich herum, die Unruhe und die aufgeregt einander zugerufenen Worte nehme ich wie in einem Traum als unwirklich wahr. Unfähig, mich zu bewegen, liege ich auf dem Boden. Ich frage mich, wie lange es wohl dauern kann, bis man mich hier findet, und ob man überhaupt nach mir sucht. Warum liege ich hier auf meinem Rücken und kann mich nicht bewegen? Ich müsste doch zumindest meine Hände spüren. Die Angst, übersehen und liegen gelassen zu werden, erdrückt mich beinahe. Lancer muss noch irgendwo in der Nähe sein, ich habe ihn ja einen Moment lang gesehen, bevor er aus meinem engen Blickfeld geriet. Mein Buddy wird mich bestimmt nicht im Stich lassen, sicher sucht er bereits nach mir.
Dieser Gedanke beruhigt mich. Langsam erlange ich wieder Kontrolle über meine Arme und Hände. Ich betrachte sie geistesabwesend, als gehörten sie nicht zu mir. Die Ärmel meines Feldhemdes sind verschwunden. Da, wo sie abgerissen wurden, sind die ausgefransten Ränder des schwer entflammbaren Stoffes etwas verschmort. Die Hände und Arme sind mit einer dunklen, blutigschmierigen Schicht bedeckt. Eine Wunde, mit der ich mir das erklären könnte, kann ich nicht ertasten. Überhaupt ist mir das Gefühl für meinen Körper abhandengekommen. Meine Beine reagieren nicht auf meinen Willen. Selbst wenn ich mit der Faust auf meine Oberschenkel schlage, fühle ich nichts. Es ist, als sähe ich jemand anderem dabei zu. Mir fällt auf, dass mir auch irgendetwas in den Mund geraten ist. Was da zwischen meinen Zähnen knirscht, hat den typischen metallischen Geschmack von Blut. Der heftige Schlag in den Rücken wird mir wieder bewusst. Möglicherweise ist meine Wirbelsäule verletzt worden. Wenn mein Rückenmark dabei beschädigt wurde, habe ich eingenässt. Ich wische mir das Blut von der linken Hand und fasse mir in den Schritt. Der Stoff fühlt sich eigenartig an, aber nicht nass. Die Hand, die ich danach betrachte, ist wieder blutverschmiert mit dem körnigrauen Film bedeckt, wie ich ihn zuvor abgewischt habe. Sie riecht nicht nach Urin. Warum kann ich meine Beine dann trotzdem nicht bewegen?
Milano taucht plötzlich in meinem Gesichtsfeld auf. Jemand hat mich gefunden. Möglicherweise bleibe ich gelähmt, aber ich werde leben. Ich kann seine Hektik nicht nachempfinden. Seine erregten Worte klingen fremd und dumpf. Sie gelangen
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