Soldatenglück - Sedlatzek-Müller, R: Soldatenglück
eine der SA3Raketen. Solches Kriegsgerät habe ich zuletzt als Kind mit meinem Großvater während einer Militärparade von Weitem zu sehen bekommen. Jetzt, wo ich die Gelegenheit habe, dieses 6Meter lange Ungetüm aus der Nähe zu betrachten, bin ich erstaunt, dass diese scheinbar simple Konstruktion sich überhaupt vom Boden abheben kann. Unsere Kameraden aus der Pioniereinheit begrüßen uns nur flüchtig, da sie bis zur Dämmerung, die in etwa zwei Stunden einsetzen wird, noch viel zu tun haben. Ab da sollte der Platz von allen Explosivstoffen geräumt und verlassen sein, weil er dann nicht mehr vor einem Überraschungsangriff sicher ist. Der heiklen Tätigkeit, Blindgänger und alte Munition zu entschärfen, sollte man ohnehin nicht bei pechschwarzer Nacht nachgehen.
Da außer Kunz keiner von uns diesen Sprengplatz zuvor betreten hat, verschaffen wir uns einen Überblick und überlegen, wie wir unsere Hunde hier ausbilden können, ohne den Kameraden von der Kampfmittelbeseitigung in die Quere zu kommen. Wir können uns frei über den Platz bewegen, da alle über den Tag zusammengetragenen Kampfmittel bereits entschärft wurden. Dem sogenannten Dresscode auf dem Platz folgend, legen wir unsere Bristolwesten und Gefechtshelme ab. Die sandige Umgebung ist auf mehrere Kilometer im Umkreis mühelos zu überblicken. Die Landschaft ist bis zum Fuß der entfernten Gebirge nur von einigen Bodenunebenheiten geprägt. Tagsüber ließe sich jede Annäherung lange vorher erkennen. Mit Lancer gehe ich zum Kranfahrzeug und überlege, wie ich hier mit meinem Hund am geschicktesten üben könnte. Dabei fällt mein Blick auf etwas in der Sprenggrube, das wie ordentlich nebeneinander abgelegte graue Abwasserrohre aussieht. Ich habe keine Idee, um was es sich bei diesen Stangen mit einem Durchmesser von etwa 20 Zentimetern handelt, und frage neugierig bei Oberfeldwebel Faus nach. Er ist heute der Verantwortliche auf dem Platz und bereitet die Stangen – die Treibladung der SA3Raketen – zur Vernichtung vor. Lancers Angebot, ihm bei der Verlegung des Plastiksprengstoffs behilflich zu sein, nimmt er gerne an. Das von der Festigkeit an Marzipan erinnernde PETN, das wir bei der Bundeswehr gewöhnlich verwenden, ist so sicher in der Handhabung, dass man es gegen eine Wand schleudern oder anzünden könnte, ohne dass es explodiert. Lancer, der das natürlich weiß, zerteilt die Sprengstoffpäckchen, die etwa so groß sind wie ein halbes Pfund Butter, mit seinem Messer und fixiert die halbierten Portionen mit Klebeband auf den Treibladungen. Nachdem alles vorbereitet ist, geht Faus aus der Sprenggrube hinaus.
Ich bin derweil bei zwei weiteren Sprengstoffexperten aus dem EOD-Team. Sie entfernen den Sprengsatz aus dem eigentlichen Gefechtskopf der Rakete. Etwas verlegen frage ich scherzhaft nach, ob uns das Ding denn nicht mehr gefährlich werden kann. Die beiden Oberfeldwebel Ohlrich und Buchner lachen mich freundlich an und versichern mir, dass der Zünder, der den Sprengstoff auslösen sollte, bereits entfernt wurde. Per Hand befördern sie faustgroße Brocken des kanariengelben Sprengstoffs in einen leeren Karton, der zuvor EPa-Notrationen enthielt. Ein Däne steht vor der Öffnung der in die Sprenggrube hineinragenden SA3und hält den Karton etwa in Brusthöhe direkt an die Rakete. Da ein Teil der gelben Krümel immer wieder durch einen Spalt hindurchrieselt, klebt Lancer ein Stück Gewebeband von unten auf den Karton. Freundlich bedankt sich der fast kindlich wirkende junge Kerl bei Lancer. Der wendet sich mir zu und sagt, dass der Sprengstoff erstaunlich hart sei und bereits kristallin wirkt. Ich teile seinen Eindruck, ohne überrascht darüber zu sein. Die Raketen lagen wahrscheinlich über Jahre in dieser Wüstenregion, Temperaturschwankungen und der Witterung ungeschützt ausgesetzt. Wenn der Sprengstoff dadurch seine Struktur verändert hat, wäre er genau der richtige für unser Hundetraining.
Gerade als ich mich bei den EOD-Leuten erkundigen will, ob wir unsere Spürhunde an diesem Sprengstoff trainieren dürften, versuchen Ohlrich und Buchner, eine hartnäckige Kruste des gelben Materials mit einem Hammer und einem flachen Schraubenzieher von der Metallwand der Rakete herunterzumeißeln. Lancer und ich blicken uns erschrocken an. Lancers entsetzter Gesichtsausdruck entspricht genau dem, was ich empfinde. Sofort folgen wir unserem Impuls und springen aus der Richtung weg, in die die Öffnung des Raketenkörpers zeigt! Wir
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