Soljanka (German Edition)
Moment, Kaprun ist doch schon Ewigkeiten her. Oder kommt es
mir nur so vor?«
»Vermutlich Letzteres, wobei ich nicht weiß, was Sie unter
Ewigkeiten verstehen. Ende 2000. Ist eigentlich lang genug her, dass es ein
alter Freund hätte erfahren können.«
»Ja, das stimmt eigentlich. Aber ich war jahrelang im
Auslandseinsatz, Brasilien, Thailand. So eng waren wir auch gar nicht. Ich habe
mit Ulrich Dembski in Mecklenburg eine Weile gut zusammengearbeitet nach der
Wende. Ich habe wohl noch mitgekriegt, dass er hierhin gezogen ist, einmal habe
ich ihn auch besucht, muss wohl kurz vor … vor dem Unglück gewesen sein … Das
haut mich jetzt schon um. Wie hat man denn … ich meine, wenn ich mich recht
erinnere, waren die Opfer des Unfalls nicht bis zur Unkenntlichkeit verbrannt?
Wie konnte man denn …?«
»Sie meinen, woher man wusste, dass er unter den Opfern war?«
Er sah sie entschuldigend an. »Eine vermutlich vergebliche
Hoffnung«, murmelte er.
»In der Tat«, erwiderte sie. »Er hatte mir gesagt, dass er einen
Ausflug zum Kitzsteinhorn unternehmen wollte. Als er nicht zurückgekehrt ist,
bestand Anlass zur ernsten Sorge. Und das hat sich ja nachher leider bestätigt
bei der Identifizierung der Opfer.«
»Tja«, machte Stamm, »es gibt schönere Überraschungen. Und die
Familie! Ulrich war doch der einzige Verdiener. Ich nehme an, Sie verwalten die
Wohnung jetzt für Erika Dembski.«
Sie sah ihn mit ernster Neugier an. »Nein«, sagte sie schließlich.
»Als Ulrich Dembski starb, gehörte ihm die Wohnung nicht mehr. Er hatte sie
verkauft, sich aber das Recht ausbedungen, zur Miete wohnen bleiben zu können.
Nach seinem Tod ist sie natürlich anderweitig vermietet worden.«
»Er hat die Wohnung verkauft?«, rief Stamm. »Hatte er Geldsorgen?«
»Entschuldigung«, sagte Frau Juraschek, »das hat er mir nicht
verraten. Vermutlich war es einfach so, dass ihm eine
Kapitalanlagegesellschaft, die in dem Gesamtobjekt ohnehin stark investiert
war, ein attraktives Angebot gemacht hat. Immobilien in Kitzbühel sind in der
Regel eine rentable Geldanlage.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Stamm. »Ich hatte mich ja auch
auf ein schönes Wochenende in den Bergen gefreut. Dabei fällt mir ein: Ende der
neunziger Jahre hat hier doch ein anderes Ehepaar aus Mecklenburg gewohnt.
Josef Müller und seine Frau. Sie wissen nicht zufällig, ob die beiden noch in
der Gegend sind?«
»Nein, tut mir leid. Ich kann mich an Herrn und Frau Müller
erinnern, aber nachdem sie ausgezogen sind, hatte ich keinen Kontakt mehr zu
ihnen. Sie werden sich schon ein Hotelzimmer nehmen müssen, um das Wochenende
in unserem schönen Dorf zu verbringen.« Sie lächelte ein wenig maliziös, wie es
Stamm vorkam.
»Ach, ich weiß nicht«, seufzte er. »Ich habe die Lust verloren. Ich
glaube, ich werde noch irgendwo zu Mittag essen, und dann fahre ich zurück nach
Salzburg und mache einen Stadtbummel, bis mein Flieger geht. Wenn man solche …«
Ein Handy klingelte. »Entschuldigen Sie mich«, sagte Frau Juraschek,
sprang auf und ging zu einer Anrichte an der Wand gegenüber der Küche.
»Juraschek«, meldete sie sich.
Dann hörte sie eine Weile zu. Stamm stand auch auf und ging zum
Fenster, genoss eine Zeit lang den Blick aus dem Fenster. Als er sich zu Frau
Juraschek umdrehte, sah er, dass sie ihn geistesabwesend beobachtete, während
sie ihrem Gesprächspartner am Telefon zuhörte.
Dann drehte sie sich um, sagte: »Einen Augenblick, da muss ich eben
in der Akte nachschauen«, und verließ das Zimmer.
Stamm hatte fast zehn Minuten, um wahlweise weiter die Berg- oder
die Designlandschaft in Frau Jurascheks Wohnzimmer zu bewundern. Er entschied
sich für die gute Stube, die Berge würden ihn auf der ganzen Rückfahrt
begleiten. Bei näherer Betrachtung verlor sie. Alles war hier Design, selbst
die »Kunst« an den Wänden. Auf der Breitseite hing zwischen verspielten
Möbeltürmen aus der Memphis-Schule ein Großformat, das mit seinen sinnlosen
Farbspielereien moderne Kunst imitierte und erkennbar dazu bestimmt war, die
Möbel zur Geltung zu bringen. An der dem großen Fenster gegenüberliegenden
Stirnseite hing, in offensichtlicher Abstimmung zum rustikalen Tisch und als
bemühter Kontrast zur modernen Einrichtung, ein kapitaler röhrender Hirsch in
Öl und Goldrahmen. Kindische Ironie, die Stamm ein mitleidiges Lächeln
entlockte.
Frau Jurascheks Stimme holte ihn aus seinen Betrachtungen.
»Entschuldigen Sie, die Geschäfte ruhen
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