Somers, Jeff - Avery Cates 02 - Die digitale Seuche
an: Drei weitere Menschen, die hatten sterben müssen, bloß weil sie mir begegnet waren. Ich streckte den Arm aus, schmierte mir das immer noch warme Blut auf die Hand und machte mich daran, es im Gesicht zu verteilen, auf meiner Kleidung, in meinem Haar. Als der Schweber draußen landete und feiner Schnee aufstob, zwängte ich mich zwischen die Sitze und legte die nächstgelegene Leiche – das Mädchen – halb über mich, streckte den Kopf zurück und starrte zur Decke empor. Natürlich bestand immer die Chance, dass die nach Wärmesignaturen scannen würden. Aber System-Bullen konnten wunderbar arrogant sein und schlampig vorgehen. Sie waren eben immer noch Menschen.
Wenn man ein Revolverheld sein wollte, ging es vor allem um Geduld. Denn einen Großteil seines Lebens verbrachte man mit Warten. Man wartete in dunklen Räumen, bis die Zielperson nach Hause kam; man wartete auf geschäftigen Straßen, bis jemand an einem vorbeistapfte, den man nur von undeutlich aufgenommenen Bildern kannte. Man wartete in absoluter Stille und ohne sich zu bewegen, ohne bescheuert zu werden, ohne dass auch nur ein einziger Muskel zuckte. Ich ordnete meine Gedanken, zwang mich dann, an überhaupt nichts mehr zu denken, den Blick fest auf einen Bolzen in der Decke des Schwebers gerichtet- und ich wartete.
Ich spürte, wie der Boden ein wenig bebte, als der Schweber auf dem feuchten Boden des Flussufers aufsetzte, und dann herrschte völlige Stille. Sofort hörte ich, wie sich mit einem leisen Seufzen eine Kabinentür öffnete, dann die Schritte von zwei Paar schweren Stiefeln.
»Leitstelle, hier spricht Vaideeki Sechs-RR-Acht. Wir haben hier einen Schweber-Absturz. Hat eine Zivil-Kennung, SFN-NY-Achtzig-Neun-A. Irgendjemand sollte sich mal ans Funkgerät setzen und der GB Bescheid sagen, dass wir einen Erdnagel von denen gefunden haben.«
Die Stimme klang sanft und war ohne jeden Akzent, fast völlig neutral, als hätte er Englisch von irgendwelchen Außerirdischen gelernt. Ich hörte, wie die Stiefel schwer herumstapften.
»Verstanden, Leitstelle«, fuhr die Stimme fort. »Sag den Spooks, dass wir ihr Eigentum sichern werden, bis sie endlich Zeit gefunden haben, hierherzukommen. Und wir werden auch ganz leise atmen!«
»Was ist denn los?«, fragte eine zweite Stimme, ebenso neutral, dabei aber tiefer und etwas rauer eindeutig ein Raucher.
»Wir wurden offiziell angewiesen, dass es sich hierbei um ein Quarantänegebiet handelt, Sanjay. Die Gesundheitsbehörde glaubt, wir könnten in Schwierigkeiten sein.«
»Diese Scheiß-Spooks! Für diese Spinner ist ja alles immer gleich bedrohlich und gefährlich!«
Ich spürte die restliche Körperwärme des Mädchens, das halb auf mir lag, und sog bei jedem Atemzug den Duft ihres Haares ein. Daraufhin versuchte meine Kehle sich selbsttätig zu verschließen und mich zu ersticken. Einer der beiden Cops streckte den Kopf ins Cockpit. Ich sah ihn aus dem Augenwinkel, ein sonnengebräunter Fleck. Der Geruch von Pfeifentabak schwängerte die Luft. Losen Tabak hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Meine Augen tränten. Ich wagte es nicht zu blinzeln, aber tränende Augen waren gar nicht gut – das mussten die doch merken! Die gottverdammten System-Bullen kannten sich mit dem Tod doch fast genauso gut aus wie wir! Der Schweber erzitterte, das Metall stöhnte hörbar auf, als der Mann sich ins Cockpit wuchtete.
»Scheiße, jetzt sieh dir dieses Arschloch an«, sagte die erste Stimme – dieser Vaideeki – oberhalb von mir. »Hättest dich wohl besser angeschnallt, Kumpel.«
»Hast du das mitgekriegt? Es heißt, die Spooks sollen die Armee umstrukturieren!«, rief der zweite von draußen. »Kannst du dir das vorstellen? Was zum Teufel wissen die Unterstaatssekretäre denn schon über Sicherheitsmaßnahmen und wie man Leuten den Schädel einschlägt?«
»Vergiss es!«, gab Vaideeki zurück. »Tricky Dick wird so ’n Scheiß niemals zulassen. Abwarten und Tee trinken! Dieser Scheiß fliegt denen doch mit Schwung um die Ohren!« Wieder erzitterte der Schweber, als nun auch ein zweites Paar schwerer Stiefel mit Stahlkappen an der Außenwand hinaufkletterte und das Cockpit erreichte.
»Im Heck sind noch vier«, sagte die zweite Stimme. »Reichlich Blut. Für mich sieht’s so aus, als wären die alle hin.«
»Hmm«, gab Vaideeki zurück. Ich hätte mir die beiden gerne etwas genauer angeschaut oder sie wenigstens im Auge behalten. Dieses Risiko konnte ich jedoch nicht eingehen.
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