Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
Vom Netzwerk:
in Gegenwart einer Fremden. Alice ging davon aus, dass es Maggie um ihr dummes Buch ging. Aber sie würde nichts preisgeben, nur damit Maggie ihre literarischen Ambitionen verwirklichen konnte. Wie sie Daniel kennengelernt und ihre Schwester verloren hatte, würde sie für sich behalten. Das ging niemanden etwas an. Aber jetzt hatte Maggie sie daran erinnert, und sie hasste es, daran denken zu müssen.
    Alice trat wieder auf die Veranda hinaus und zündete sich eine Zigarette an. Auf der anderen Seite der Bucht prallten die Wellen gegen die Felsen. Daniel hatte diese Stunden besonders geliebt, wenn er vor dem Schlafengehen mit einer Tasse Pfefferminztee auf der Veranda sitzend der Brandung lauschte. Er fehlte ihr. Wo er gewesen war, war jetzt Leere.
    Kurz darauf ging Alice ins Bad und schaltete das Radio ein, um die Stille zu vertreiben. Sie zog sich ihr Baumwollnachthemd über, nahm ihre Dritten raus, bürstete sie vorsichtig und ließ sie in ein Wasserglas auf dem Handwaschbecken gleiten. Das Gebiss war neu, und Alice war dankbar, dass Daniel das nicht mehr hatte erleben müssen.
    Mit einer Hand hielt Alice ihr Haar zurück und cremte sich mit der anderen das Gesicht ein. Ihre Haut war im Alter furchtbar trocken geworden. Mittlerweile war sie dünn wie Seidenpapier und riss bei der geringsten Berührung. Wie jeden Abend dippte sie die Finger in die Cremedose und rieb sich damit die zerrissene Haut an den Beinen ein. Dann zog sie schwarze Leggins darüber, um die Feuchtigkeit einzuschließen. Morgen war sie mit Pfarrer Donnelly zum Mittagessen verabredet. Vielleicht würde sie das aufmuntern.
    Sie schaltete das Radio aus, ging ins Schlafzimmer und legte sich in das für sie allein viel zu große Bett. Die Erinnerungen stürmten weiter auf sie ein, und sie musste die Nachttischlampe brennen lassen, als wäre sie ihr eigenes, ängstliches kleines Kind.
    Das Baseballspiel zwischen Holy Cross und dem Team vom Boston College im Fenway Park Stadion fiel auf den 28. November 1942, zwei Tage nach Thanksgiving. Alices Brüder Timmy und Paul und viele ihrer Freunde waren für zwei Wochen Heimaturlaub in der Stadt. Sie waren wild und ausgelassen, rannten uniformiert in der Stadt herum und sorgten für Aufregung unter den Mädchen. Die übrigen Brüder waren nicht nach Hause gekommen: Jack war irgendwo vor der Nordafrikanischen Küste auf der USS Augusta . Michael, erst fünfzehn Jahre alt, kämpfte im Pazifik. Eigentlich war er zu jung, hatte sich aber in die Armee gemogelt, um nichts zu verpassen.
    Ihre Mutter machte sich große Sorgen um ihre Söhne und war davon überzeugt, dass sie keinen von ihnen zu Weihnachten wiedersehen würde. Da jetzt immerhin zwei der vier Jungs zuhause waren, wurde das Thanksgiving in jenem Jahr das größte Festessen, das sie je erlebt hatten: Ihre Mutter servierte Truthahn mit viel Bratensoße und dazu nicht nur gebutterte Stampfkartoffeln, sondern auch noch Kartoffelgratin, und Mary buk Apfelkuchen und Pfirsichauflauf. Auch zwei Tage später waren alle noch pappsatt.
    Die Jungs hofften, nach dem Krieg ans Boston College gehen zu können. Sie waren seit ihrer Kindheit Fans der Eagles, der Sportmannschaften des College. In diesem Jahr war das Baseballteam bisher ungeschlagen und wenn sie gewannen, war die nächste Station der Sugar Bowl, in dem die besten Hochschulmannschaften gegeneinander antraten. Aber dann passierte das Unvorstellbare: Holy Cross gewann fünfundfünfzig zu zwölf. Alices Brüder waren am Boden zerstört. (Sicherlich hatte für sie auch eine ganze Menge Geld auf dem Spiel gestanden.)
    Alice war das alles total egal. Sie war nicht einmal mit ihren Brüdern zum Spiel gegangen. Dafür hatte sie sich schon seit dem Frühstück auf ihre abendliche Verabredung mit Daniel Kelleher im Cocoanut Grove Tanzlokal vorbereitet. Mary war nicht mit von der Partie. Ursprünglich wollte sie mitkommen, aber dann hatte Henry in letzter Minute Karten für das Shubert Theater bekommen, und Mary hatte ihr abgesagt.
    »Du lässt mich da alleine hingehen?«, hatte Alice sich am Morgen im Bad beschwert, während Mary sich fertigmachte.
    »Wieso alleine? Die Jungs sind doch dabei.«
    »Du musst nach dem Stück unbedingt rüberkommen.«
    »Mal sehen, was Henry vorhat.«
    »Was Henry vorhat? Immer dreht sich alles um Henry!«, Alice ging aus dem Bad und schlug die Tür hinter sich zu.
    »Also wirklich, Alice!«, hörte sie Marys Stimme durch die Tür.
    Kurz darauf ging Mary aus dem Haus. »Viel Glück

Weitere Kostenlose Bücher