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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. Courtney Sullivan
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Kathleen.
    »Du hast wohl eine ganze Menge um die Ohren«, sagte Ann Marie. »Mach dir keine Gedanken mehr um Alice. Ich kümmere mich darum.«
    Ann Marie sagte alle Termine für Ende Juni ab, um schon am zwanzigsten nach Maine fahren zu können. Mit jedem Telefonanruf und jeder Entschuldigung wuchs ihre Frustration. Dienstags und donnerstags passte sie normalerweise nach Schulschluss auf ihre Enkel auf, bis Patty oder Josh nach Hause kamen. Die müssten sich jetzt einen Babysitter suchen.
    Ihre Schwester Tricia war verärgert: »Aber du wolltest Mama doch am zweiundzwanzigsten zum Arzt bringen«, sagte sie.
    »Wenn du es diesmal machst, übernehme ich die nächsten drei Termine«, sagte Ann Marie. »Und ich besorge vor meiner Abreise noch ihre Medikamente.«
    Am liebsten hätte sie Kathleen angerufen und gesagt: »Ich habe übrigens auch eine Mutter.« Aber das tat sie natürlich nicht.
    Für Ann Marie war es eine Selbstverständlichkeit, sich um Alice zu kümmern. Sie war so erzogen worden. Man sorgte für die ältere Generation, selbst dann, wenn sie anstrengend waren und sich nicht immer so benahmen, wie man es sich wünschte. Wer entsprach schon dem Ideal eines anderen?
    Sie verbrachte gern Zeit mit Alice, obwohl ihre Schwiegermutter schwierig sein konnte. Alice legte meistens gute Manieren an den Tag, aber manchmal ließ sie sich auch in der Öffentlichkeit gehen: Sie nahm in edlen Restaurants Brot und Butter aus dem Körbchen und schmuggelte es in eine Serviette gewickelt nach Hause, als stünde sie kurz vor dem Hungertod. Vor kurzem hatten sie bei Papa Razzi gegessen, und als Ann Marie von der Toilette zurückkam, sah sie gerade noch den Salzstreuer in Alices Handtasche verschwinden.
    Ann Marie war bei Alice immer auf der Hut, denn die Stimmung ihrer Schwiegermutter konnte sehr plötzlich umschlagen. Aber meistens war es nett, wenn sie zusammen zum Friseur oder in der Innenstadt einkaufen gingen. Alice war eine interessante Frau. Nur ihren Töchtern schien das nicht aufzufallen. Sie verfolgte die Nachrichten, las viel und hatte zu jeder neuen Serie auf PBS eine Meinung. Ann Marie konnte sich mit ihr identifizieren: Beide waren in einfachen Verhältnissen groß geworden und hatten es zu etwas gebracht. Ann Maries Mutter, die Gute, saß Tag ein, Tag aus vor der Röhre und sah eine Messe nach der anderen. Ihr Leben lang hatte sie sich um andere gekümmert. Seit Ann Marie sich erinnern konnte, hatte immer irgendein lediger Onkel oder verarmter Cousin zweiten Grades bei ihnen gewohnt. Ihre Mutter hatte niemanden je abgewiesen. Jetzt war sie eine fettleibige Diabetikerin und Ann Marie schämte sich ihrer.
    Alice war hübsch und zierlich geblieben. Sie hätte es nie zugegeben, aber wenn es ums Aussehen ging, war Alice für Ann Marie ein Vorbild. Dreimal in der Woche hatte Ann Marie einen Termin mit ihrem persönlichen Trainer Raul, und sonntags machten Pat und sie nach der Kirche zehn Kilometer auf dem Weg hinter der Newton North High School.
    Alice kam jeden Sonntagabend zum Essen. Zu ihrem Geburtstag und zum Muttertag schickte Ann Marie ihr Blumen von Daniel Junior. (Die Mädchen machten so was selbstständig.) Pat übernahm ihre Steuererklärung, bezahlte die Versicherung für das Anwesen in Maine und sah dort im Winter nach dem Rechten, fuhr alle paar Wochen hin, um sicherzugehen, dass die Rohre nicht eingefroren und das Dach nach einem Sturm nicht durch Äste oder Bäume beschädigt worden war. Das Grundstück würde natürlich an sie und Pat fallen, wenn es einmal so weit war. Dann hatten sie den ganzer Sommer am Strand für sich.
    Clare und Kathleen wussten das Sommerhaus sowieso nicht zu schätzen.
    Ann Maries Schwestern fuhren im Sommer immer nach Cape Cod, und zu Beginn hatte es Ann Marie nicht gefallen, dass sie ihre Schwestern wegen des Hauses in Maine den ganzen Sommer über nicht sah. Aber von Jahr zu Jahr hatte sie sich in Cape Neddick mehr zuhause gefühlt. Außerdem wohnten ihre Schwestern im Sommer nur zur Miete.
    Für ihre Kinder gab es nichts als Maine, und keine zehn Pferde würden sie an einen anderen Sommerurlaubsort kriegen. Jeder hatte seinen Lieblingsstrand und seine Lieblingsfischbude (Fiona und Daniel Junior wollten immer zu Barnacle Billy’s, und für Patty, Josh und die Enkelkinder war es Brown’s). Es gab bestimmte Sommertraditionen: Die Jüngeren machten sich mindestens einmal spätabends zum L.L. Bean Outdoorladen in Freeport auf den Weg, um auf den überdimensionalen, zwei

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