Sommer, Sonne, Ferienglück
aber wir fahren in die Sommerfrische und nicht zum Wiener Opernball.«
»Opernball …« Hedwig Pauli lächelte, lächelte ganz still in sich hinein. »Eigentlich gar nicht so übel, der Vergleich vielleicht komme ich mir ein bißchen so vor, als führe ich zum Opernball.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich. Und warum, erklär' ich Ihnen noch mal. Später …«
Hans-Dieter Schürmann blieb nichts als das Staunen über die geheimnisvolle Verwandlung von Hedwig Pauli. So leise, so verhalten, ja geradezu poetisch hatte er sie noch nie erlebt.
Aber richtig verblüfft war er erst, als sie ihn in schrillem Befehlston anwies, eine Aussichtsplattform anzusteuern.
»Da unten sieht man's.«
»Ja was denn?«
»Collano! Und gleich links ist auch die Villa.«
Gleich links die Villa? Na gut: Bäume und Dach, nichts Norwegisches mehr, das Land ein einziger Garten, vielleicht ein Garten Eden, wenn man's übertreiben wollte, schön, aber warum war sie so aufgeregt?
»Schürmann, hol mir das Beauty-Case.«
Aha, jetzt wurde er also kurzerhand geduzt und war schon ›Schürmann, der Chauffeur und Kofferträger‹.
»Bitte.«
»Ich kann doch nicht, ich meine, das geht doch nicht … kannst du doch verstehen, oder?«
»Was denn?«
»Na, daß ich in diesem Zustand … Also, hör mal: Ich weiß, ich habe Falten, und vielleicht stehen mir meine nicht so besonders gut. Meine Schwester Lisa hat auch Falten, die aber machen sie so richtig zur Lady. Bei mir brauche ich Puder und Make-up, verstehst du?«
Puder und Make-up? Dabei blieb es nicht. Die Hülse, die sie gerade aufschraubte, war eindeutig die Hülse eines Lippenstifts. Eine Hedwig Pauli, die sich die Lippen schminkte?!
Der Dr. Schürmann schluckte, dann dachte er daran, daß es höchste Zeit wäre, einmal diese Kurse für psychologische Therapie zu belegen, die in den Fortbildungskursen immer angeboten wurden.
Hedwig Pauli wiederum schien höchst zufrieden. »Da. Und vielen Dank. Verstau das wieder. Jetzt sage ich sogar Hans-Dieter zu dir, obwohl ich den Namen nie ausstehen konnte. Für mich riecht er immer nach Veilchenparfum.«
»Nach was?«
Schürmann hatte das ›Hans-Dieter‹ groß und breit auf dem Praxisschild. Und sie redete von Veilchenparfum?!
»Na, ein bißchen, wie soll ich sagen, ein bißchen feminin ist er schon. Und das bist du ja nun wirklich nicht.«
»Vielen Dank!«
»Aber heute scheint mir ›Hans-Dieter‹ richtig vornehm. Genau das Richtige.«
Nun, da sollte sich ein anderer den Kopf zerbrechen. Und doch, der Dr. Schürmann mußte erleben, daß eine Hedwig Pauli in der Lage war, selbst solche Überraschungen noch zu überbieten …
Sie waren vor dem Hotel angekommen. Er musterte das Tor, ein Wahnsinnstor mit frisch bronzierten, leuchtenden Goldspitzen. Aber kein Schwanz weit und breit.
Schürmann stieg aus und öffnete die Tür des Mercedes. Als er ihr heraushelfen wollte, wie er das auf der ganzen Fahrt getan hatte, stieß sie ihn heftig zurück.
»Laß das! Du brauchst mich nicht anzufassen, das schaff ich alleine.«
Laß das? Und anfassen? Das schaff ich alleine … Dabei hatte er ihr im letzten November erst mit Mühe von einem Rollstuhl abgeraten, obwohl eine solche zuckerbedingte Hüftarthrose nun wirklich manchmal sehr schmerzhaft sein mußte.
Schmerzhaft oder nicht – sie stand. Tatsächlich. Und nicht nur das, sie setzte sich in Bewegung, Schritt um Schritt.
»He, Frau Pauli! – Ihr Stock!«
»Laß mich bloß mit dem Stock in Frieden«, fauchte sie zurück. »Ja, siehst du denn nicht, daß ich keinen brauche?«
Sie brauchte ihn nicht. Ein wenig hinkend vielleicht, aber das Kreuz so gerade wie irgend möglich und den Kopf hocherhoben, durchschritt Hedwig Pauli das Tor mit den vergoldeten Spitzen.
Dann, als sie die unteren Stufen der langen Treppe erreichte, vernahm Dr. Schürmann, der ihr ganzes Verhalten mit hilfloser, fast verzweifelter Verblüffung verfolgte, einen neuen Befehl.
»Hans-Dieter, deinen Arm!« …
***
Sie stiegen die Treppe hoch, nicht allzu viele Stufen, denn nun blieben sie doch stehen.
»Ist etwas, Frau Pauli?«
»Ja, siehst du nicht die beiden Mädchen da?«
»Welche Mädchen?«
»Die Figuren. – Daß sie die blank geputzt haben, Busen und sogar den Bauch … Weißt du, früher wuchs auf denen Moos. Und der Benito … Aber das muß ich dir auch noch erzählen.«
Dr. Schürmann nickte und wünschte, die verdammte Treppe nebst Steinfiguren hätte ein Ende.
Da hielt sie schon wieder
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