Sommer, Sonne, Ferienglück
Frage mit Schmerzen heraus. »Und warum bloß …?«
»Gianni. Gianni, ›il lupo‹. – Ein Höhlenmensch. So ein Analphabet aus dem letzten Jahrhundert. Brennt da irgendwo oben am Berg Kalk. Ein Kalkbrenner. Das letzte Mal, als ich mit ihm zu tun hatte, hatte er einem Jungen eine Dachlatte über den Kopf gehauen, weil er ihn in seinem Grundstück erwischte. Der mußte genäht werden. Und mit so einem legen Sie sich an.«
»Sag doch endlich Theo zu mir.« Das brachte er ziemlich klar heraus. Die Dankbarkeit gegenüber dem Lebensretter half.
»Ist vielleicht 'ne Geschichte. Wenn ich die Christa erzähle, glaubt sie sie mir gar nicht. Der ›Lupo‹ meinte nämlich, Sie – du – wolltest an seine Frau.«
»Hm. – Ich?«
»Ja du, Theo! Der sah dich heranschleichen. Dann die Hand auf der Schulter der alten Hexe. Und er da hinten, unter der Weide am Pinkeln. Und schon war's geschehen.«
Theo legte den schmerzenden Kopf zurück und schloß die Augen: nach Hause, ins Bett! Jawohl. – Aber ging ja nicht. Die Selbstmörderin hatte ihm alles eingebrockt. Sollte sie sich von ihm aus in den See stürzen! Oder hineinwaten, bis sie keinen Grund mehr fand. Sollte sie sich doch mit dem Kalkbrenner anlegen, dann ging es noch schneller. Er jedenfalls, er hatte jetzt andere Sorgen.
»Sind die Zähne noch ganz? Wackelt da einer?«
»Weiß ich nicht«, stöhnte Theo. »Aber ich muß rauf zum Mirtillo-Hof.«
»Wieso? Die sind alle besoffen. Aber ich werde schon dafür sorgen, daß der Bus sie zurückfährt.«
»Darum geht's nicht.«
»Um was dann?«
»Einmal muß ich die Giulietta da bezahlen. Und dann wegen morgen …«
»Was ist denn morgen?«
»Der Kerl …«, er hatte nun wirklich Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Die Lippe war heiß und aufgesprungen. »Der Kerl, der Kerl, der da als Koch kommen wollte, er hat doch abgesagt.«
»Nein!«
»Doch … Und ich muß mir was einfallen … lassen … Jetzt … Heute Nacht …«
***
Auf dem Mirtillo-Hof waren die Kerzen in den Windlichtern ausgewechselt worden, auch die Lampen brannten noch. Die Reihen an den Tischen allerdings hatten sich gelichtet.
»Wir haben den eigenen Wagen dabei«, sagte der Studiendirektor zu Angela Rottenkamp. »Und wir fahren jetzt zurück ins Hotel. Ich glaube, es ist wohl besser, wir nehmen Sie mit.«
Angela nickte. Sie hätte zu allem genickt. Schimmernde Farbkleckse tanzten vor ihren Augen. Gesicht und Glühbirnen bekamen einen bläulichen Schimmer. In ihrem vom Bardolino belagerten Bewußtsein wandelten sie sich zu Scheinen, all den Geldscheinen, die Angela nicht hatte und doch so dringend brauchen würde …
Dieser Hans-Dieter? Arzt will der sein? Rangehen wie Oskar, dann kneifen und auch noch wegen einer Oma, quatsch, wegen der Urgroßmutter, die ihn aushält! Die hat Kohle. Klar.
Und wieder summierten sich Zahlen. Aber dahinter auch die großen, ganz großen Fragezeichen.
Unten im Hotel ging es Angela schon wieder besser. Der Fahrtwind hatte gutgetan. Sie stolperte zwar gleich beim Empfang, aber da war Carlo, einer der ungezählten Giulietta-Neffen, im normalen Leben Schreiner in Malcesine, während der Saison Lohnkellner und Aushilfskraft auf der anderen Seeseite.
Hilfreich fing Carlo sie auf.
»Wo kommst denn du her, Hübscher?« flüsterte Angela mit halb geschlossenen Augen. Und da das Radio hinter dem Tresen leise Tanzmusik verströmte, hatte sie gleich die passende Idee: »Komm, komm doch … Tanzen wir?«
Das Studiendirektor-Ehepaar entfernte sich kopfschüttelnd.
Carlo warf sichernde Blicke zur Tür: Wenn jetzt der Padrone …? Na, der ist harmlos. Aber seine Tochter! – Na und? Tanzen gehört schließlich zur Kundenbetreuung. Carlo lächelte auf Angela herab und machte den ersten Schwenker …
In der Orangerie klammerte sich Hedwig Pauli an einen Traum fest, der sie in die einzigartigen Zeiten der Vorkriegsjahre entführte, jenen Jahren, in denen man noch die Hand geküßt bekam, im offenen Horch-Ka-briolet über die Alpen zum See fuhr und ein Mädchen mit langen, blonden Haaren eine Sensation darstellte, den Jahren, in denen Benito – nun ja …
Der Dr. Hans-Dieter Schürmann im Nebenzimmer indes konnte einfach nicht einschlafen. Dabei hatte er genug geladen: mindestens eine Flasche Bardolino, vom Grappa gar nicht zu reden … Aber all die Gläser halfen auch nicht weiter.
So stand Hans-Dieter Schürmann auf und tippte barfüßig und in Pyjama-Shorts auf den Balkon. Das Hotel lag im
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