Sommer unter dem Maulbeerbaum
Begegnung mit ihr. Sie kleidete sich besser, durch den Gewichtsverlust hatte sie jetzt eine geradere Haltung und bewegte sich mit mehr Leichtigkeit. »Es besteht die Möglichkeit, dass Jimmys ganze Milliarden mir gehören und nicht ihnen«, sagte Bailey schließlich.
Bei diesen Worten lehnte sich Violet in den Sitz zurück und schüttelte den Kopf. »In dem Fall, Schätzchen, könntest du dich in einer dieser Höhlen in Afghanistan verkriechen, und sie würden dich trotzdem finden.«
»Und in der Zwischenzeit machen Atlanta und Ray die Leute arbeitslos und ...»
»Ach Gott! Eine Weltverbesserin. Du verschwindest besser aus Calburn, bevor ...«
Bailey wollte keine Ratschläge hören. Es war nur eine Frage der Zeit, wann Atlanta und Ray sie finden würden, doch bis es so weit war, wollte sie alles unternehmen, um so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du mit einem der Goldenen Sechs verheiratet warst?«
»Was um alles in Gottes schöner Welt das mit diesen beiden geldgierigen Mördern zu tun hat, ist mir ...« Violet brach ab, als sie Baileys Gesicht sah, dann lächelte sie schwach. »Ich verstehe. Du und dein hinreißender Mann seid da einer Sache auf der Spur, nicht wahr?« Als Bailey keine Antwort gab, wurde Violets Lächeln breiter. »Na, wie ist er denn nun im Bett? Und gib dir keine Mühe, mir zu erzählen, das wüsstest du nicht. Ihr zwei habt euch so heiße Blicke zugeworfen, dass man damit die Landebahn hätte in Brand setzen können.«
Bailey sah Violet finster an. »Ich werde deine se-xuellen Fantasien nicht befriedigen. Ich will nur alles wissen, was dein verstorbener Mann dir je über Frank McCallums Sohn erzählt hat.«
»Franks Sohn?«, wiederholte Violet verblüfft. »Ich wusste nicht mal, dass Frank einen Sohn hatte. Er ... Warte einen Moment. Hab ich nicht mal gehört, er hätte ein zurückgebliebenes Kind, das oben in den Bergen lebte? Kam nie runter. Keiner hat den Jungen je zu Gesicht bekommen.«
Einen Augenblick lang sah Bailey aus dem Fenster. Ihr wurde übel. Jimmy. Ein so geselliger Mensch wie Jimmy in einer Hütte in den Bergen versteckt. Wie viele Jahre? Hatte man ihm die Isolation aufgezwungen oder war sie freiwillig gewesen?
Violet beobachtete Bailey genau. »Hasenscharte«, sagte sie leise. »War der Junge geistig zurückgeblieben oder nur entstellt?«
Bailey hatte einen Kloß im Hals, sie brachte kein Wort heraus. Das wenige, was Violet soeben gesagt hatte, machte so vieles, was Jimmy betraf, begreiflicher. Er konnte es nicht ertragen, auch nur für ein paar Sekunden allein zu sein. Er sehnte sich danach, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Bei ihrer ersten Begegnung war er auf dem Karussell gefahren, als wäre er noch nie zuvor auf einem gewesen -vermutlich war er das auch nicht.
Als sie in ihre Auffahrt einbogen, tätschelte Violet Bailey die Hand. »Setzt Arleen ab und kommt dann zurück. Ich erzähle dir, was ich weiß.«
Zwei Stunden später fuhren Bailey und Matt wieder bei Violet vor. Sie hatten beim Supermarkt Halt gemacht und den Kofferraum mit Tüten voller Fertiggerichte für Violet beladen und mit einer Lammkeule und Wein, damit Bailey für alle drei ein Abendessen zubereiten konnte. »Du nimmst Violet mit nach draußen und sprichst mit ihr über Carol, während ich koche«, trug Bailey Matt auf. »Dann unterhalten wir drei uns über die Goldenen Sechs.«
»Was hast du auf dem Herzen?«, wollte er wissen. »Du bist schon die ganze Zeit so merkwürdig still, seit wir sie vom Flughafen abgeholt haben.«
Fast hätte Bailey erwidert, es sei alles in Ordnung, doch das tat sie nicht. Vielmehr erzählte sie ihm, dass man Luke McCallum für geistig zurückgeblieben hielt und dass er zurückgezogen in den Bergen gelebt hatte.
»Wir reden hier doch nicht vom Mittelalter«, sagte Matt. »Der Mund des Jungen konnte doch operiert werden. Und er ist ja auch operiert worden.«
»Warum wurde dann nichts daran gemacht, als er noch ein Kind war?«, fragte Bailey. »Das Foto von Jimmy wurde aufgenommen, als er ein Teenager war. Selbst wenn kein Geld für die Operation da war, gibt es schließlich Wohlfahrtsorganisationen. Bei einem so schlimmen Fall hätte sich doch bestimmt ein Arzt finden lassen, der es umsonst gemacht hätte. Jimmy ...« Sie hielt inne und atmete tief durch. »Jimmy hat viel Geld an Ärzte gegeben, damit sie missgebildete Kinder kostenlos operierten.«
Matt küsste Bailey sanft. »Am Ende werden wir alles
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