Sommer unter dem Maulbeerbaum
daher bedarf es vieler Anläufe, bevor ...«
»Verschwinden Sie endlich!«, lachte sie.
Nur widerwillig und erst nachdem er Bailey eine Liste mit einem halben Dutzend Telefonnummern in die Hand gedrückt hatte, unter denen sie ihn erreichen konnte, stieg Phillip hinter dem wartenden Fahrer ins Auto. »Wenn Sie irgendetwas brauchen«, rief er durchs Fenster, »was es auch sei, lassen Sie es mich wissen.« Und der Wagen setzte zurück über den unkrautbefallenen Kies, der einmal die Auffahrt beeindruckend hatte erscheinen lassen.
»Abendessen«, rief sie laut, als er rückwärts auf die unbefestigte Straße vor ihrem Grundstück rollte. Doch Phillip hörte sie nicht mehr. »Oder einen Lebensmittelladen«, sagte sie in die Stille hinein.
Sie blieb stehen, wo sie war, bis sie das Geräusch seines Wagens nicht länger hören konnte. Dann stieß sie den Atem aus und lockerte die Schultern. Sie war umgeben von hohem Unkraut, Bäumen mit langen, herabhängenden Ästen und Ranken mit Dornen, die einem die Haut zerreißen konnten. Was raschelte da hinter den Bäumen? Da war so ein seltsames Geräusch. Eine Schlange? Oder war es ein Mensch? Jemand, der auf der Lauer lag?
Sie schloss die Augen und schluckte, dann sprach sie ein Gebet. »Lieber Gott«, flüsterte sie, »bitte sorge weiter so gut für mich, wie du es in der Vergangenheit getan hast.« Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch es schien alles gesagt. Bisher hatte sie in ihrem Leben viel Glück gehabt, jetzt bat sie lediglich darum, dass der Vater im Himmel es so weitergehen ließ.
Sie drehte sich langsam um in Richtung des Geräusches und sah, dass es nur der Wind war, der mit den Blättern der Sträucher spielte. Doch auch die Ergründung der Ursache für das Geraschel konnte ihre Ängste nicht beschwichtigen. Um sie herum gab es weitere Geräusche und etliche Verstecke, an denen sich Menschen oder Tiere verbergen konnten.
Sie tat ihr Bestes, um sich Mut zuzusprechen, dann drehte sie sich um und rannte auf die Scheune zu.
4. KAPITEL
Als Bailey am nächsten Morgen aufwachte, wusste sie zuerst nicht, wo sie war. So wie sie es ihr halbes Leben lang getan hatte, suchte sie auch jetzt nach Jimmy. Als sie seinen Körper nicht ertasten konnte, bereitete ihr das noch keine Sorgen. Er war oft geschäftlich unterwegs, um sein Geld zu verdienen -und es auszugeben, wie er ihr mit Vorliebe erzählte.
Das Geräusch eines Lastwagens ließ sie jäh vollends wach werden. Ihr Blick fiel auf das Fenster hoch über ihr und langsam kam die Erinnerung zurück. Jimmy war tot und sie war allein. Absolut und ganz und gar allein.
Von draußen her konnte sie Vogelgezwitscher und den Wind in den Bäumen hören und in der Ferne den Laster, dessen Räder sich über Kies mühten. Es war lange her, seit solche Klänge an ihr Ohr gedrungen waren. Die Häuser, die Jimmy erwarb, waren in der Regel von riesigen Rasenflächen umgeben, beziehungsweise von gigantischen Steinterrassen oder dem Ozean. Kieswege waren von Jimmy nicht geduldet worden.
Die Möbelpacker hatten ihr ein Bett aufgestellt. Völlig fehl am Platz stand ihre hübsche, neue Schlafstätte genau in der Mitte des großen Eingangsbereiches der Scheune. Das Bett war aus weiß gestrichenem Holz, das den Anschein einer Antiquität hatte. Sie hatte in sechs Kisten nachschauen müssen, bevor sie die Bettwäsche fand. Dann hatte Phillip ihr geholfen, das Bett mit weißen Baumwolllaken, einer flauschigen Daunendecke und einem halben Dutzend Kopfkissen auszustatten. Als sie fertig waren, hatten alle gelacht. Es sah aus, als hätte eine Agentur eine besonders gewiefte Idee für Bettwäschewerbung gehabt.
Nachdem die Männer und Phillip gegangen waren, war Bailey in die Scheune zurückgekehrt und ins Bett gestiegen. »Was mache ich hier nur?«, fragte sie sich. Wenn sie in diesem Moment ein Handy gehabt hätte, dann hätte sie Phillip angerufen und ihn gebeten, sie wieder abzuholen. Und sie hätte zugestimmt, gegen Atlanta und Ray um einen Anteil am Vermögen zu kämpfen. Sie würde sich irgendwo ein hübsches Häuschen kaufen und ...
Bailey unterbrach ihren Gedankenfluss. Der Lastwagen schien näher zu kommen. In der nächsten Minute vernahm sie das unverkennbare Quietschen von Druckluftbremsen. Sind die Möbelpacker zurückgekommen?, überlegte sie, dann schlug sie die Decke zurück und schlüpfte in ihre Schuhe.
Es dauerte eine Weile, das schwere Scheunentor aufzubekommen, und sie setzte Schmieröl auf die Einkaufsliste in ihrem
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