Sommer unter dem Maulbeerbaum
schlanke Taille seiner Frau. »Es sind keine Kinder mehr.« Er sah seinen Bruder aus den Augenwinkeln an und gab ihm so stillschweigend zu verstehen, dass er jetzt aufstehen und damit Patsys Fragen entfliehen könne.
Das war gestern Abend gewesen, und heute den ganzen Tag über hatte Matt sich vor dem Treffen am Abend gefürchtet. Er und seine Neffen hatten dreißig Meilen entfernt eine Garage zu einem Gästezimmer umgebaut. Daher war ihm weiteres Gerede über die Frau erspart geblieben, die ganz Calburn zum Tratschen veranlasst hatte. Heute nach der Arbeit hatte er eilig Patsy auf die Wange geküsst und etwas davon gemurmelt, er sei mit einem Kunden verabredet. Dann war er auf einen fettigen Burger ins Schnellrestaurant von Calburn gegangen.
»Ich habe gehört, sie schwimmt im Geld«, hatte Ruth Ann, die Serviererin, gesagt, während sie ihm eine Tasse Kaffee einschenkte. Sie sprach nicht mit Matt, sondern mit einer Gruppe Einheimischer, die sich zusammengefunden hatten, um die Vorgänge in dem alten Hanley-Anwesen zu besprechen.
»Sie muss schon reich sein, wenn sie all diese Männer bezahlen will. Aber wieso will sie es in Calburn vergeuden? Warum geht sie nicht irgendwo anders hin, wo sie näher an der Zivilisation ist?«, fragte Mark Underwood. Mark ging im Herbst aufs College. Er konnte es kaum erwarten, aus Calburn wegzukommen und nie mehr zurückzukehren.
Die anderen im Restaurant schenkten ihm keine Beachtung.
»Wisst ihr, was ich denke?«, sagte Opal von Opals Schönheitssalon ein Stück weiter die Straße hinunter. »Ich denke, sie hat was vor. Ich denke, sie plant die Eröffnung von einem dieser - wie heißen sie noch? Wo man übernachten und dann noch frühstücken kann?«
Matt betrachtete den Inhalt seiner Tasse, um herauszufinden, wie heute der Kaffee war: gefärbtes Wasser oder Motorenöl. Einmal hatte er in dem Bemühen, einen Witz zu machen, angeregt, dass Ruth Ann doch die beiden mischen sollte, das würde dann vielleicht einen anständigen Kaffee ergeben. Sie hatte ihm geantwortet, wenn ihm der Kaffee in Calburn nicht gefalle, könne er ja zu seiner eingebildeten Exfrau zurückgehen und sie bitten, ihm Kaffee zu kochen. Matt hatte geseufzt. In einer Kleinstadt gab es keine Geheimnisse.
Während er noch über seiner Kaffeetasse brütete, wurde ihm mit einem Mal die Stille um ihn herum bewusst. Als er aufschaute, bemerkte er, dass alle im Lokal ihn ansahen und offensichtlich darauf warteten, dass er seine Meinung abgab. Dank Patsy hielt man ihn für den »Großstadtexperten«. »Bed and Breakfast«, sagte er. »Man nennt so etwas Bed and Breakfast.«
»So ’ne Art Schnellrestaurant mit angeschlossenem Motel, nicht?«, fragte Ruth Ann. »Soll das heißen, sie glaubt, in dieser Stadt sei Platz genug für zwei Schnellrestaurants?«
Matt erhob sich, legte eine Fünfdollarnote auf den Tisch und bewegte sich auf die Tür zu. »Ruth Ann«, sagte er, »ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Dein Geschäft ist einzigartig. Keiner könnte dich und dieses Lokal hier ersetzen.«
Mit diesen Worten schenkte er allen Gästen ein breites Lächeln, und sie sahen ihn an, als wären sie sich nicht sicher, ob das, was er gerade gesagt hatte, gut oder schlecht war. Dann ging er hinaus. Mit einem leisen Lachen und dem Gefühl, sich wenigstens ein bisschen für diesen Kaffee revanchiert zu haben, lief Matt zu seinem Lieferwagen, einem Chevy, hinüber und stieg ein. »Auf zur Witwe-, sagte er. Dann ließ er den Motor an, setzte rückwärts aus der Parklücke und fuhr in Richtung Owl Creek Road zum alten Hanley-Anwesen.
Jetzt, wo er einmal hier war, konnte er es nicht länger vor sich herschieben. Langsam stieg er aus dem Wagen und ging auf das Haus zu. Er kannte das Grundstück gut. Als Kinder waren er und Rick mit dem Fahrrad am Bach entlanggefahren und hatten sich durch das Gestrüpp gekämpft, um an die Bäume zu gelangen, die immer noch Früchte trugen. Drei Sommer hintereinander hatten sie einen Stand am Straßenrand betrieben und Ware verkauft, die sie von der verlassenen Farm gestohlen hatten. Doch sie hatten keinen großen Umsatz gemacht; jede andere Farm in Calburn besaß auch so einen Stand.
Als Matt den Pfad hinaufging, sah er sich um. Er musste zugeben, dass in sehr kurzer Zeit hier sehr viel erreicht worden war. Er konnte nicht anders, als sich immer wieder im Kreis zu drehen, um alle Veränderungen in sich aufzunehmen, dann stieß er einen leisen Pfiff aus. Da hatte jemand tief in die
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