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Sommerferien in Peking

Sommerferien in Peking

Titel: Sommerferien in Peking Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leela Wang
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sich jeden Morgen zum Frühstück einen Cappuccino und ein Sandwich von Starbucks ...«
    Lao Ye schüttelt wieder den Kopf und Lao Lao wechselt das Thema.
    Das Lustige ist, dass Tante Bin eigentlich nur zwölf Minuten jünger ist als Mama. Aber niemand würde erraten, dass sie Zwillinge sind. Tante Bin hat ein rundes Gesicht wie Lao Lao und Mama hat ein schmales Gesicht wie Lao Ye; Tante Bin trinkt Cappuccino von Starbucks und Mama trinkt Jasmintee, den sie von China mitgebracht hat; Tante Bin trägt Schuhe mit hohen Absätzen und fährt mit einem Firmenwagen; Mama zieht oft Turnschuhe an und spielt mit uns Fußball. Es ist eigentlich erstaunlich, dass Zwillinge so unterschiedlich sein können.
    Mi Mis Kindergarten befindet sich von Hochhäusern umringt in der Mitte unseres Wohncompounds. Auf dem kurzen Weg dorthin wird Lao Ye von vielen Bekannten begrüßt, jungen und alten, Frauen und Männern. Ich soll alle als Tante oder Onkel, Oma oder Opa begrüßen.
    In diesem Compound wohnen die Familien der Mitarbeiter des Forschungsinstituts, in dem Lao Ye bis zu seiner Rente gearbeitet hat.
    Man wohnt hier wie in einer großen Familie. Aber wenn man fremd ist, kommt man nicht so einfach rein.
    Als wir noch in Peking wohnten, waren Lao Lao und Lao Ye oft bei uns, aber wir nur ganz selten bei ihnen. Weil Papa Deutscher ist, musste Lao Ye ja vor jedem Besuch von uns extra Zutritt für Papa beantragen.
    Vor dem Kindergarten stehen bereits viele Kinder mit ihren Eltern oder Großeltern. Alle begrüßen sich lachend.
    Als Wind aufkommt, höre ich plötzlich ein helles »Ding ... Ding ...«
    Wo gibt es hier Glocken? Ich folge dem klaren Klang und entdecke einen kleinen Tempel, gleich neben dem Kindergarten. Der Tempel ist hinter Bambus versteckt. Vier Glocken, die unter dem grauen Dach hängen, schwingen sanft im Wind und erzeugen die schönen Klänge, denen ich gefolgt bin. Ein alter Tempel inmitten vieler moderner Hochhäuser – witzig! Die Tür ist leider geschlossen.
    Ich versuche, auf meinen Zehenspitzen zu stehen und schaue durch die geschnitzten Fenster. Am Anfang denke ich, der Tempel ist leer, dann sehe ich in dem schlecht beleuchteten Raum zwei lange schmale Augen. Ein großer goldener Buddha! Er sitzt auf einer riesigen Lotusblume hinter durchsichtigen Vorhängen. Seine Händflächen hat er friedlich aneinandergelegt. Aber warte mal, er hat hinter seinem Rücken noch mehrere Arme – wie ein Pfau, der ein Rad schlägt. Jede Hand hat eine andere Handhaltung. Es muss der »Buddha mit den Tausenden Händen« sein. Dann sehe ich zwei Löcher, wo eigentlich weitere Armesein sollten. Der Buddha ist verletzt. Auch drei Hände sind abgehackt! Wer hat das bloß gemacht?
    »Peng!« Ein lauter Knall und ich zittere am ganzen Leib. Hinter dem Buddha erstrahlt plötzlich helles Licht. Die Hintertür fliegt auf und ein paar Männer stürmen herein. Zwei davon stellen einen großen Tisch auf, direkt vor den Buddha. »Können wir den Tisch hierhin stellen, Herr Qian?«, fragt einer von ihnen.
    Ein hagerer Mann im grauen Gewand dreht sich um und sagt schließlich: »O.K.!« Er hat keine Haare auf dem Kopf. Im Schein des Lichts ist sein Schädel kahl und glatt wie eine Billardkugel.
    Wer auch immer diese Männer sind – Mönche von dem Tempel scheinen sie ganz gewiss nicht zu sein. Was machen sie da? Ich halte den Atem an. Sind sie vielleicht diejenigen, die den Buddha kaputt gemacht haben? Ich ducke mich unter das Fenster und überlege, ob ich Lao Ye holen soll. Nein, ich muss erst einmal wissen, was da los ist.
    Als ich wieder durch das Fenster blicke, liegen Tinte, Pinsel, Wasser und ein dicker Stoß Reispapier auf dem Tisch. Derjenige, den die anderen als Herrn Qian bezeichnet hatten, krempelt nun die Ärmel hoch, nimmt den Pinsel in die Hand und atmet einmal tief ein. Als er den Pinsel schwingt, erscheinen schöne chinesische Schriftzeichen auf dem Papier. Herr Qian schreibt ohne Pause. Nachdem eine Seite fertig geschrieben ist, legt einer der anderen Herrn gleich ein neues Papier vor ihm aus.
    Seine Bewegungen erinnern mich an die Taiji-Übungen, die Papa morgens im Garten macht.
    Auch die anderen Männer im Tempel halten die Luft an und schauen gebannt zu. Herr Qian schreibt und schreibt, bis der ganze Stoß Papier vollgeschrieben ist. Dann schmeißt er den Pinsel einfach in die Luft – die Kalligrafie ist fertig. Ich kann meine Bravorufe fast nicht zurückhalten.
    Ein paar Männer zünden jetzt ein Feuer an. Zu meiner großen

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