Sommerfest
Fußball weiß, weiß ich von Heinz Tenholt.
Thomas Jacobi besorgt neues Bier. Die Sonne scheint, und es droht alkoholisch unübersichtlich zu werden. In Stefans Hosentasche vibriert das Handy, aber da geht er jetzt nicht ran, da guckt er nicht mal aufs Display, Anka kann er sich jetzt einfach nicht geben.
Während sie dastehen und reden, kommen zwei, dreiehemalige Mitspieler vorbei, schlagen Stefan auf die Schulter und vergessen auch nicht, eine Bemerkung über den verschossenen Elfer zu machen.
Dann Tumult bei den Kabinen. Die Mannschaft vom TuS, der gleich gegen die Spielvereinigung Murat spielen soll, ist ebenfalls angekommen. Da gibt es so eine unerklärliche Rivalität, ja Feindschaft zwischen den beiden Vereinen, so eine Montague-Capulet-Geschichte, nur sind keine Liebesgeschichten zwischen Anhängern beider Vereine bekannt. Irgendeiner von der TuS hat mal einem von der Spielvereinigung was aufs Maul gegeben oder das Auto demoliert, vielleicht auch einer von der Spielvereinigung einem vom TuS, wie immer ist das so was von egal, ja, gerade die Tatsache, dass keiner mehr weiß, wie das eigentlich angefangen hat, sorgt dafür, dass es immer weitergeht.
Jetzt fängt einer an, was zu schreien. Stefan, Thomas, Frank, Mandy und Karin gehen rüber, um alles mitzubekommen. Ein Spieler von der TuS hat irgendwas gegen Murat, meint, der solle sich nicht so aufspielen, er habe noch nichts erreicht in seinem Leben, aber auch gar nichts. Und er soll nicht den Dicken machen, wo er jetzt für den Loser-Club überhaupt spielt! Diese Bemerkung trägt nicht zur Deeskalation bei, schließlich sind fast alle Spielvereinigungler auch Fans des VfL. Der Spieler vom TuS regt sich immer noch auf und wird von seinen Mannschaftskollegen nur halbherzig beruhigt, bis der Trainer dazwischengeht, ein untersetzter Typ mit Schlägervisage. Nein, das stimmt nicht, denkt Stefan, ich habe nur diese TuS-Ablehnung schon so lange verinnerlicht, dass ich nicht davon loskomme. Der Trainer sieht auch nicht besser oder schlechter aus als die Trainingsanzugträger von der Spielvereinigung, und wahrscheinlich liegt genau da der Hund begraben. Man erkennt im anderen immer sich selbst, und mit niemandem liegt man doch so über Kreuz wie mit dem eigenen Ich.
Die Schwere dieses Gedankens drückt Stefan ein wenig runter. Außerdem drückt noch etwas anderes, also geht er um das Vereinsheim herum zu den Toiletten, die im hinteren Teil untergebracht sind. Er wundert sich, dass hier nichts los ist, freut sich aber, dass er am Urinal stehen kann, ohne dass einer danebensteht, und als er wieder herauskommt, stößt er fast mit Karin zusammen.
»Hey«, sagt sie, »wo man sich so trifft!«
»Allerdings!«, ist alles, was Stefan rausbringt.
»Du wirkst gehemmt.«
»Hab schon ein bisschen was getrunken.«
»Oder denkst du an etwas, das dich verwirrt?«
»Vielleicht auch.«
»Da denke ich auch manchmal dran.«
»Da haben wir ja was gemeinsam.«
Sie berührt kurz seinen Arm und verschwindet in der Damentoilette.
Stefan atmet durch und geht dann wieder zur Vorderseite des Vereinsheims, und da steht plötzlich Charlie und sieht ihn an. Ihre blonden Locken sind jetzt etwas kürzer, ihre Nase immer noch eine Winzigkeit zu groß, und ihre Schultern sind immer noch die Schultern der ehemaligen Wettkampfschwimmerin. Sie trägt Jeans, ein blaues Poloshirt, Turnschuhe, um den Hals etwa seit ihrem zwölften Lebensjahr eine Lederkordel und am rechten Handgelenk das ebenfalls lederne Armband, das Stefan ihr an diesem einen Nachmittag am Kanal geschenkt hat.
Sie waren mit Toto unterwegs, der sich an sie drangehängt hatte und den sie nicht hatten abschütteln können, dabei hatte Stefan mit Charlie allein sein wollen, weil er ein Geschenk für sie hatte. Sie hatte ihm mal wieder bei einem seiner Anfälle von Liebeskummer beigestanden. Susanne Bühler aus der Parallelklasse hatte sich ein paarmal mit ihm getroffen, aber jetzt hieß es, sie hätte mit einem von der Berufsschule herumgeknutscht. Charlie hatte ihn gewarnt, aber er hatte nicht auf sie hören wollen.
Sie hockten im Gras am Rhein-Herne-Kanal in Wanne-Eickel. Ihre Räder hatten sie an den Baum gelehnt. Charlie war die Einzige, die noch auf einem alten Bonanza-Rad unterwegs war. Stefan hatte einem Nachbarn vor ein paar Wochen ein altes Herrenrad abgekauft, und Toto war stolzer Besitzer eines etwas zu kleinen Klapprades.
Hätten sie einfach dasitzen können und auf einem Grashalm kauen, hätte es was von Tom
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