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Sommerglück

Sommerglück

Titel: Sommerglück
Autoren: Luanne Rice
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bekommen und beschlossen, Philatelist zu werden. Annie musste beinahe lachen, als sie daran dachte, dass er nicht einmal den Namen aussprechen konnte, aber jede Briefmarke aufgehoben hatte, die mit der Post ins Haus kam.
    Die lange Pinzette leistete ihr nun gute Dienste. Sie benutzte sie, um die winzigen Sitze zu lockern, zu entfernen, und vorsichtig das Deck aus dem Rahmen zu lösen. Sie hatte Angst, das Balsaholzstück – ganze zwanzig Zentimeter lang und an einem Ende spitz, am anderen flach – zu zerbrechen, deshalb arbeitete sie langsam und sorgfältig.
    Aber sie schaffte es. Sie hob das Deck aus dem Boot und schnappte nach Luft, als sie sah, was sich darunter verbarg. Ihre Augen füllten sich mit Tränen beim Anblick des kleinen graublauen Schneckengehäuses und des zusammengefalteten Zettels, der die Handschrift ihres Vaters trug.
    »Was ist denn das?« Tara beugte sich vor, um besser zu sehen.
    »Irgendeine Nachricht von Daddy«, flüsterte Annie.
    »Soll ich sie dir vorlesen?«, fragte Tara, als Annie das Blatt auseinanderfaltete.
    Aber Annie schüttelte den Kopf, als sie die ersten Worte sah. »Nein. Der Brief ist für mich. Ich lese ihn selbst.«
    »Liebe Annie,
    du weißt, dass Bankleute viele Briefe schreiben, aber dieser ist der schwerste meines ganzen Lebens. Vielleicht, weil er für die Menschen bestimmt ist, die ich am meisten liebe – euch vier: dich, Billy, Peggy und deine Mom. Keiner hätte sich eine bessere Familie wünschen können. Und keiner hätte sein Leben schlimmer verpfuschen können. Vielleicht gelingt es mir trotzdem, einige Probleme aus der Welt zu schaffen, ein Unrecht wiedergutzumachen.
    Mir geht eine Menge im Kopf herum, und du bist die Einzige, der ich sie anvertraue. Annie, ich hoffe, dass du diesen Brief niemals zu Gesicht bekommst, denn wenn du ihn liest, bedeutet das, dass ich nicht mehr am Leben sein werde. Ich kann mir vorstellen, was du und die anderen von mir denken müsst. Aber ich hoffe, dass dir das, was ich zu sagen habe, zu verstehen hilft – dir und den anderen. Ich werde diesen Brief in deinem kleinen Boot hinterlegen und es bei Dan Connolly lassen. Wenn ich dieses kleine Boot betrachte, wird mir bewusst, wie sehr ich dich lieb habe. Ich werde es irgendwo deponieren, wo es sicher ist, bei jemandem, der es dir zurückgeben wird.
    Ich schreibe dir deshalb, weil du meine älteste Tochter bist und ich gerade an die Tochter eines anderen Mannes denke. Ihr Name ist Eliza. Sie ist die Tochter eines Jugendfreundes deiner Mutter und geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich befürchte, dass sie sich in Gefahr befindet. Durch meine Schuld.
    Ich habe etwas getan, worauf ich nicht stolz bin. Ich bin in Versuchung geraten, habe in der Bank ein paar sehr schlechte Entscheidungen getroffen. Die Leute vertrauten mir, meine eigene Familie eingeschlossen, und ich habe dieses Vertrauen zerstört. Ich war geldgierig, Annie, und das habe ich allein zu verantworten.
    Doch da ist noch etwas – Mark und Alise Boland haben Elizas Mutter, Charlotte Connolly, umgebracht. Ich hatte nichts damit zu tun, Annie – ich möchte, dass du das weißt. Aber ich habe geschwiegen, aus Angst, dass meine Beteiligung an den Unterschlagungen ans Tageslicht kommen würde, und wer schweigt, macht sich mitschuldig. Weil man wegschaut, ein Unrecht zulässt. Was ich nicht zulassen werde, ist jedoch, dass sie Eliza etwas antun. Sie wollen sie umbringen, weil sie mit angesehen hat, wie sie ihre Mutter überfahren haben. Ich werde zur Polizei gehen, Anzeige gegen die beiden erstatten – und gegen mich. Für das, was ich in der Bank angerichtet habe.
    An der Landstraße am anderen Ende der Liegeplätze gibt es eine kleine versteckte Bucht. Hier sitze ich nun, in meinem Wagen. Ich bin bis zum Rande des Wassers gegangen und habe das Schneckengehäuse gefunden; es ist für dich. Das Blau erinnert mich an die Augen deiner Mutter.
    Der Name dieser Bucht lautet Alewife Cove; du findest sie auf der beiliegenden Skizze. Es ist eine schmale Bucht zwischen dem Gill River und dem Sund. Ich sage dir das, weil ich dieses Fleckchen Erde liebe, weil man hier ungestört sitzen und nachdenken kann. Ich habe die Bucht den Bolands gezeigt, als wir Pläne schmiedeten, und sie meinten, sie sei ideal, um sich Elizas zu entledigen. Da wusste ich, dass sie es ernst meinten.
    Annie, ich schreibe dir diese Zeilen in der Hoffnung, dass du mir verzeihen kannst. Wenn der Brief fertig ist, fahre ich zur Werkstatt von Elizas Vater, um ihn
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