Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
sie. »Für mich geht es schon los mit diesen alten Wagenrädern und Pflügen aus der Scheune, die Olli Kattenstroth hier dekorativ übers Gelände verteilt hat. Ehrlich gesagt, das geht überhaupt nicht, Olli.«
»Ehrlich gesagt mach ich mir da gar keine Sorgen«, sprang ich Freund Olli zur Seite, »der Laden hier hat doch einen derartigen Trashfaktor, dass man den so schnell sowieso nicht ausgemerzt kriegt. Von hier zur Gartencenter-Ästhetik ist es meiner Meinung nach ein verdammt langer Weg.«
Nun blickte Olli doch mal von der Zeitung auf. »Das mit den Wagenrädern war ja nur so ein Versuch, der eher unter Kunstvorbehalt zu sehen ist, Elke. Ich gebe dir ja recht. Diese ganze bürgerliche Wohlbehaglichkeit mit Rasenkanten und cremefarbenen Lampenschirmchen will hier glaube ich keiner von uns. Ich denke, es ist Konsens, dass wir hier alle auch ästhetische Brüche wollen.«
»Ich fass es nicht«, stänkerte Andine. »Höre ich da schon wieder diese ständigen Verspießerungsängste raus? Ich dachte, da sind wir langsam mal drüber weg. Werdet doch mal erwachsen und steht zu dem, was ihr selbst schön findet – nicht zu dem, was eure Eltern Scheiße finden.«
Nun sah sich Simone aus der Reserve gelockt, für Elke Partei zu ergreifen: »Aber das ist es ja, Andine, unspießig finden wir ja selber schön.«
Eine kleine Rückblende auf Simone und Andine:
Simone hatte noch in lebhafter Erinnerung, wie ihre beste Freundin Andine selbst einmal ganz im Anti-Spießertum-Lebensgefühl aufgegangen war. Kennengelernt hatten die beiden sich vor vielen Jahren beim Vorsprechen an verschiedenen Schauspielschulen, weil Andines Nachname in der alphabetischen Reihenfolge gleich auf Simones folgte und man einander ständig auf den Fluren beim Warten begegnete. Nachdem beide mehrmals durchgefallen waren, betrieben sie in Hamburg eine Zeit lang ein gemeinsames Off-Kindertheater, durch das so ziemlich jedes Kind aus Altona und aus dem Schanzenviertel geschleust wurde, in dessen Kita irgendeine Sozpäd-Bekannte der beiden als Erzieherin arbeitete. Mitte der Neunzigerjahre kauften sich Andine und Simone bei einem Berlinbesuch Eintrittskarten für die Volksbühne und sahen sich ein Christoph-Schlingensief-Stück an, bei dem das Publikum zum Finale hinter dem Oberhausener her durch die Straßen zog und den Wahlspruch des Abends skandieren musste: »Gebt mir den Kopf von Helmut Kohl!« Da war es passiert, da hatten sich die beiden Freundinnen Hals über Kopf in die Hauptstadt verliebt. Sie zogen um, wurden von einer privaten Schauspielschule angenommen und durchlebten einige heftige Schübe des sattsam bekannten Berlinfiebers, dessen wichtigstes Symptom das zwanghafte Durchfeiern der Nächte war. In Andines und Simones Fall verschärfte sich die Problematik zusätzlich dadurch, dass sich die beiden nun in der Rolle der »Hauptstadtschauspielerinnen« gefielen, ergo dauernd wie in einer Castorf-Inszenierung zwanghaft kreischend auf den Tischen tanzen mussten. Die Grenzen zwischen Schauspielschule und dem richtigen Leben verschwammen. Alles wurde eine Performance. Weil das sehr anstrengend war, für die Freundinnen selbst wie für ihre Mitmenschen, waren sie in der Müßiggang-Bar auf unser Vorhaben von der Flucht aufs Land angesprungen – und Konrad und ich auf die beiden. Als Homo oeconomicus africanus liebte Konrad auch im Privaten das freie Spiel der Kräfte, Launen und Naturgewalten. Andine hatte den Wirtschaftsmann in der Turtelphase immer mit der Bezeichnung »mein Exfeind« geneckt. Sie kam mit ihm zusammen, legte noch ein Architekturstudium nach und ging allmählich auf kritische Distanz zu ihrem früheren Leben.
Niels schnitt sich mit dem Brotmesser durch die Plastikfolie des Marmorkuchens hindurch das Endstück mit der Schokoglasur ab und griff Simones Faden auf.
»Unspießig findet ihr selber schön? Soso. Ist das nicht genau das Kennzeichen des Neospießertums vom Prenzlauer Berg?«
Betretenes Schweigen.
Mit Niels’ hinterhältiger Frage war der intellektuelle Kaffeeklatsch unter der Trauerweide an seinem Wendehammer angelangt. Ich sagte, dass wir am besten einfach erst mal weitermachen sollten, ohne so viel nachzugrübeln, drückte die verbliebenen Krümel Comtess-Rührkuchen zu einem Knubbel zusammen, schob ihn in den Mund und kehrte zurück an meinen Arbeits- und Kampfplatz hinter der Scheune.
Mit der Losung »einfach erst mal machen« waren wir gar nicht so schlecht gefahren, sie zeitigte brauchbare Ergebnisse.
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