Sommerkussverkauf
nicht, ob sie sich zu ihrer moralischen Kraft gratulieren oder sich verachten sollte, weil sie ein solcher Angsthase war.
»Du willst nicht?«
Oh, wie konnte er das nur fragen?
»Es ist Oliver. Wir sind seit siebenundzwanzig Jahren verheiratet.«
Will klang amüsiert. »Wir müssen es ihm ja nicht sagen, weißt du.«
»Ich bin eine so hoffnungslose Lügnerin«, jammerte Estelle.
»Pst, ist ja gut, es ist schon in Ordnung.« Will klang beruhigend. »Wir werden nichts tun, was du nicht willst.«
»Kein Sex, nur hin und wieder ein kleiner Flirt«, fuhr Will fort. »Wie würdest du dich dabei fühlen?«
»Klingt … großartig.« Etwas nervös angesichts ihrer eigenen Gedanken strich Estelle ihre Bluse glatt.
»Tja«, meinte Will gut gelaunt, »es hätte besser laufen können, aber wenigstens bist du nicht vor Angst schreiend davongelaufen. Das macht mich schon glücklich.«
Er wusste es nicht, aber er hatte sie zu einer glücklichen Frau gemacht. Ein echter Ego-Booster. Estelle konnte die Freude, die in ihr aufkeimte, nicht länger zurückhalten. »Mich auch!«
Nualas Schlüsselbein war nicht das Einzige, was heilte. Wie ein wunderbar unerwartetes Weihnachtsgeschenk hatte sich die Trennung von Dexter als weitaus weniger traumatisch erwiesen, als Nuala gedacht hatte.
»Ich verstehe es nicht«, sagte Nuala zu Maddy, als sie unbeschwert die Haustür von Snow Cottage hinter ihnen schloss. »Ich fühle mich absolut gut. Ich habe nicht einmal diesen komischen Kloß im Hals, wenn ich Dexter sehe. Weißt du, was? Wenn ich ehrlich bin, ist es fast eine Erleichterung, dass alles vorbei ist.«
»Prima.« Maddy freute sich für Nuala.
»Wir waren zwei Jahre zusammen«, staunte Nuala und warf sich die geflochtenen Lederträger der türkisfarbenen Umhängetasche über die Schulter, als sie die Main Street in Richtung Pub überquerten. »Zwei ganze Jahre und doch bin ich schon über ihn hinweg! Es ist ein Wunder. Ich kann dir gar nicht sagen, wie
toll
sich das anfühlt!«
Das war schön und gut, aber nicht unbedingt das, was man hören wollte, wenn man sich selbst leer und elend fühlte. Denn Nuala und Dexter hatten nie zusammengepasst. Natürlich war sie froh, dass diese Beziehung zu Ende war. Aber – Maddy schloss kurz die Augen – so war es bei Kerr und ihr nicht gewesen. Es war nicht annähernd so leicht, mit jemand Schluss zu machen, von dem man wusste, dass es die große Liebe deines Lebens war. Innerhalb dieser wenigen Tage hatte sie bereits drei Kilo abgenommen, und sie wusste, dass ihr das nicht stand.
Nuala hatte darauf bestanden, an diesem Abend mit Maddy auszugehen, weil im Cottage Trübsal zu blasen einfach – Zitat – langweilig, langweilig,
langweilig
war. Am Ende waren Maddy die Argumente ausgegangen. Darum waren sie jetzt hier, im
Fallen Angel
.
»Wir sollten nach Bath fahren und die Clubs checken«, verkündete Nuala diktatorisch, als sie sich in die Schlange vor der Bar einreihten. »Du auch«, befahl sie Kate, die sie bediente. »Schaut uns an, drei Singlefrauen ohne Mann, wie traurig ist das denn? Und es ist ja nicht so, als ob wir in dieser Spelunke jemand Anständiges finden könnten.«
»Wie charmant«, sagte Jake, der kurz vor ihnen eingetroffen war. »Und beinahe hätte ich euch auf einen Drink eingeladen …«
»Ich bin stark«, sagte Nuala selbstgefällig zu ihm. »Ich bin eine Frau. Ich blase nicht länger Trübsal wegen eines Mannes. Und ich bin sehr wohl selbst in der Lage, mir einen Drink zu kaufen.«
»Aber leider nicht in der Lage, Miete zu zahlen.« Jake grinste Dexter an und krümmte sich gleich darauf, als ihm Nuala mit ihrem guten Arm auf die Schulter schlug.
»Wegen dieser Bemerkung möchte ich jetzt einen Bacardi mit Cola.« Nuala wandte sich an Kate. »Und schenk reichlich ein. Ich hätte gern einen ganzen Eimer.«
Dexter, dem nichts entging, hatte bereits gespürt, dass etwas im Busch war. In der Sekunde, als Jake Harvey den Pub betreten hatte, hatte Kates Körpersprache sie verraten. Jake, so entspannt und locker wie immer, hatte sie mit einem fröhlichen Grinsen begrüßt, aber Kates Kiefer hatten sich unter der freundlichen Oberfläche verspannt, und sie war seinem Blick ausgewichen. Wenn man Jake so gut kannte wie Dexter, musste man kein Genie sein, um zu erahnen, was passiert war, als Jake Kate neulich nachmittags nach Hause gebracht hatte. Dexter stellte es sich wie eine Pawlow’sche Reaktion vor: Wenn Jake allein mit einer Frau war, musste er sie
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