Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
verschränkte sie die Arme vor der Brust.
Beira lächelte über Donias Reaktion und kostete sie aus, indem sie erst einmal schwieg. Dann streckte sie, immer noch lächelnd, ihre freie Hand aus, als müsse im nächsten Moment ein Glas darin erscheinen. Was nicht geschah. Mit einem langen, leidenden Seufzer sah sie sich um. »Hast du immer noch keine Bediensteten?«
»Nein.«
»Also wirklich, Süße, du musst dir einfach ein paar anschaffen. Waldgeister sind von Natur aus folgsam. Aber Wichtelmännchen kann ich nicht ausstehen.« Sie machte ein missmutiges Gesicht. »Die Bande tut einfach, was sie will, schrecklich. Ich könnte dir ein paar von meinen Waldgeistern ausborgen, wenn du willst.«
»Damit sie mich ausspionieren?«
»Na sicher, aber das ist doch nun wirklich nebensächlich.« Sie wedelte blasiert mit der Hand durch die Luft. »Dein Haus ist wirklich … armselig. Noch schlimmer als das letzte. In diesem anderen Städtchen … oder war das von einer anderen abgelegten Geliebten meines Sohnes? Es ist ja so schwer, euch alle auseinanderzuhalten.«
Donia schluckte den Köder nicht. »Es ist sauber.«
»Aber trotzdem, so gewöhnlich . Es hat überhaupt keinen Stil.« Beira fuhr mit den Fingern über die Steinfiguren, die auf dem grob behauenen Tisch vor dem Sofa standen. »Die sind aber nicht aus deiner Zeit.«
Sie nahm einen Bären in die Hand, der seine rechte Pranke erhoben und seine Miniatur-Krallen ausgefahren hatte. »Den hat Liseli gemacht, stimmt’s?«
Donia nickte, obwohl eine Antwort gar nicht notwendig war. Beira wusste ganz genau, von wem er stammte. Es ärgerte sie, dass Liseli Donia – und auch Keenan – immer noch besuchte. Sie war nun schon einige Jahre nicht mehr da gewesen, aber sie würde wiederkommen. Seit sie von der Last befreit war, Beiras Kälte in sich zu tragen, reiste sie in der Welt herum – und zwar bevorzugt in Wüstengebieten, wo sie Beira und ihresgleichen auf keinen Fall begegnen konnte. Alle paar Jahre tauchte sie auf, um Donia daran zu erinnern, dass die Kälte nicht ewig auf ihr lasten würde, auch wenn es ihr tausendmal so vorkommen mochte.
»Und diese schreckliche zerlumpte Hose, in der du immer herumläufst?«
»Die ist von Rika. Wir haben dieselbe Kleidergröße.«
Rika hatte sie jetzt schon mehr als zwei Jahrzehnte nicht mehr besucht, aber sie war sowieso ein seltsames Mädchen: Es war ihr leichter gefallen, die Kälte zu ertragen, als sich vorzustellen, Keenans Königin zu sein. Sie waren alle sehr verschieden. Das Einzige, was die Wintermädchen gemeinsam hatten, war ihre große Willenskraft. Besser das, als irgendwelche Charakterzüge mit diesen hohlköpfigen Sommermädchen zu teilen, die Keenan nachliefen wie Kinder .
Beira schaute Donia abwartend an, während diese versuchte, ihre Ungeduld zu verbergen.
Schließlich gab Donia nach. »Gibt es einen Grund für deinen Besuch?«, fragte sie.
»Bei mir gibt es für alles einen Grund.« Beira trat neben sie und legte ihre Hand in Donias Kreuz.
Donia verkniff es sich, Beira zu bitten, ihre Hand wegzunehmen; das verstand sie garantiert nur als Aufforderung, sie in Zukunft häufiger dort hinzulegen. »Sagst du ihn mir auch?«
»Meine Güte, du bist ja noch schlimmer als mein Sohn. Allerdings nicht ganz so temperamentvoll.« Beira trat noch näher an sie heran, ließ ihre Hand um Donias Taille gleiten und bohrte die Finger in ihre Hüfte. »Du wärst so viel hübscher, wenn du dir was Schöneres anziehen und dir eine schmeichelhaftere Frisur zulegen würdest.«
Donia trat beiseite, vorgeblich um die Hintertür zu öffnen und die zunehmende Kälte hinauszulassen. Sie wünschte sich, sie wäre so temperamentvoll wie Keenan – doch das lag nun mal in der Natur des Sommerkönigs. Er war so flüchtig wie ein Sommergewitter, launenhaft und unberechenbar, und brach genauso schnell in Lachen aus, wie er in Wut geriet. Aber es war nicht seine Macht, die von ihr Besitz ergriffen hatte; Donia war Beiras eisiger Macht unterworfen, seit sie vor so langer Zeit das Zepter in die Hand genommen hatte. Wenn es anders gekommen wäre, hätte die Kälte der Winterkönigin ihr nichts mehr anhaben können und sie wäre auf ewig mit Keenan zusammen gewesen. Doch der Frost war aus dem Zepter der Winterkönigin in sie hineingefahren – und hatte sie verschlungen, bis sie nur noch eine atmende Verlängerung dieses Zepters gewesen war. Donia konnte immer noch nicht sagen, auf wen sie wütender war: auf Keenan, weil er ihr
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