Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
können, die sich an einem ganz anderen Ort befanden.
Der Bus fuhr vorbei und ließ sie in einer Wolke aus Abgasen zurück. Sie liefen über die Straße in den etwas besser beleuchteten Park. Auf einer Bank neben dem Brunnen saßen vier fremde Jungs und zwei Mädchen, die Leslie nicht kannte, und nickten Ashlyn zu. Sie winkte beiläufig, ging jedoch nicht zu ihnen hinüber. »Hat er dich denn gefragt, ob du mit ihm ausgehst oder so?«
»Ash? Warum fragst du mich das?« Leslie setzte sich auf eine leere Bank und trat ihre Schuhe von den Füßen. Ganz gleich wie viel sie trainierte oder ihre Beine dehnte, irgendwie endete das Kellnern immer mit wundgelaufenen Füßen und schmerzenden Waden. Sie rieb sich die Beine und sah zu Ashlyn hinüber. »Kennst du ihn denn?«
»Du bist meine Freundin. Ich mache mir einfach nur Sorgen und … Er sah nach Ärger aus, weißt du? … Nach der Sorte Mann, die ich nicht in der Nähe von jemandem sehen möchte, den ich gernhab.« Ashlyn setzte sich im Schneidersitz auf die Bank. »Ich möchte, dass du glücklich bist, Les.«
»Ach ja?« Leslie grinste sie an. Plötzlich war sie ganz ruhig, trotz der seltsamen Gefühlswallungen, die sie den Abend über durcheinandergebracht hatten. »Ich doch auch. Und das werde ich auch sein.«
»Also dieser Typ …«
»Er war einfach nur auf der Durchreise. Er hat ein bisschen geflirtet und wollte angehimmelt werden, während er sein Essen bestellt hat, und inzwischen hat er die Stadt wahrscheinlich schon wieder verlassen.« Leslie stand auf, reckte sich und federte ein bisschen auf ihren Fußballen auf und ab. »Es ist alles in Ordnung, Ash. Entspann dich, okay?«
Da lächelte Ashlyn sie an. »Gut. Gehen wir schon weiter oder bleiben wir noch sitzen? Wir sind gerade erst angekommen …«
»Entschuldige.« Leslie überlegte kurz, sich wieder hinzusetzen. Dann sah sie in den dunklen Himmel hinauf, der den Mond zu verschlingen schien. Eine wunderbare Unruhe erfüllte sie. »Tanzen? Weitergehen? Mir egal.«
Es kam ihr vor, als würden Monate der Angst und der Sorge von ihr abfallen. Sie betastete das Tattoo auf ihrem Rücken. Es war bislang nur in Umrissen erkennbar, doch sie fühlte sich bereits besser. Wenn man an etwas glaubte – und etwas tat, was diesen Glauben symbolisierte –, dann fühlte man sich wirklich stärker. Symbole der eigenen Überzeugung. Allmählich wurde sie wieder sie selbst.
»Komm.« Sie nahm Ashlyn bei der Hand, zog sie hoch und ging rückwärts, bis sie einige Schritte von der Bank entfernt waren. Dann wirbelte sie herum. Sie fühlte sich gut, frei. »Du hast den ganzen Abend rumgesessen, während ich geschuftet habe. Also hast du keine Ausrede. Lass uns gehen.«
Ashlyn lachte und klang zur Abwechslung wieder wie ihre alte Freundin. »Also, auf in den Club, nehme ich an?«
»Wir tanzen, bis dir auch die Füße wehtun.« Leslie hakte sich bei Ashlyn unter. »Ruf Ri und Carla an.«
Es fühlte sich gut an, wieder sie selbst zu sein.
Besser denn je.
Acht
Leslie ging mit den Schuhen in der Hand durch den Gang der Bishop O. C. und achtete darauf, nicht mit den Armen zu schlenkern, damit sie nicht mit den Absätzen gegen eines der schäbigen Schließfächer krachte. Es war nun drei Tage her, dass sie die Außenlinie ihres Tattoos hatte stechen lassen, aber noch immer musste Leslie ständig an diese schwindelerregende Energie denken. Sie litt unter seltsamen Panik- und Begeisterungsschüben, Gefühlen, die unpassend erschienen, irgendwie unmotiviert, sie andererseits aber auch nicht störten. Es war, als hätte sie sich die Launen eines anderen ausgeliehen. Merkwürdig, aber gut. Und sie fühlte sich stärker, ruhiger, leistungsfähiger. Sie war sicher, dass das nur eine Illusion war, ein Effekt ihres neuen Selbstvertrauens, aber trotzdem gefiel es ihr.
Was ihr nicht gefiel, waren die vielen Prügeleien, die ihr plötzlich überall auffielen – oder vielmehr, dass sie ihr gar keine Angst machten. Statt deswegen beunruhigt zu sein, ertappte sie sich dabei, wie sie sich Tagträumen über den Gast im Verlaine hingab. Wenn sie an ihn dachte, lag ihr ständig sein Name auf der Zunge, dabei hatte er ihn ihr nie genannt. Warum weiß ich dann …? Sie schob diese Frage beiseite und öffnete rasch die Tür zur Abstellkammer.
»Na endlich , Les«, sagte Rianne mit einer Geste der Ungeduld und schloss leise die Tür hinter ihr.
Leslie sah sich nach einem Sitzplatz um und ließ sich auf einem Stapel Turnmatten nieder.
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