Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Kopf wieder klarkriegen. Über Ren nachdenken … Ich mache mir Sorgen.«
»Um Ren? Ich könnte mit ihm reden. Vielleicht kann dein Dad …«
»Nein. Es ist mir wirklich ernst damit. Ren hat sich verändert. Halt dich von ihm fern.« Leslie zwang sich zu lächeln, um ihren Worten ein wenig die Schärfe zu nehmen. Sie näherten sich viel zu sehr den Themen, über die sie nicht reden wollte. »Ich komme später noch mal vorbei, oder morgen, okay?«
Rianne nickte, obwohl sie ganz und gar nicht glücklich wirkte, und sie traten wieder auf den Gang hinaus.
Nachdem Leslie die Bishop O. C. verlassen hatte, wusste sie gar nicht, wo sie eigentlich hinwollte, bis sie sich schließlich am Fahrkartenschalter des Bahnhofs wiederfand. »Ein Ticket nach Pittsburgh für sofort.«
Der Mann hinter dem Schalter murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, als sie ihm das Geld durchreichte. Geld für Notfälle. Geld, mit dem sie Rechnungen hätte begleichen können. Normalerweise war sie sehr zögerlich, wenn es darum ging, ihr Geld für einen kurzen Ausflug in ein Museum auszugeben, aber sie musste jetzt irgendwohin, wo es schön war, musste etwas sehen, das ihr das Gefühl gab, dass die Welt in Ordnung war.
Hinter ihr schubsten sich einige Jungs gegenseitig, woraufhin die Umstehenden ebenfalls zu drängeln begannen.
»Sie müssen Platz machen, Miss.« Der Schalterbeamte schaute auf die Schlange hinter ihr, als er ihr das Ticket hinschob.
Sie nickte und ließ das Getümmel hinter sich. Einen kurzen Moment lang fühlte sie sich, als brandete eine Welle von Schatten über sie hinweg, durch sie hindurch . Sie taumelte. Das ist bloß Panik . Sie versuchte, daran zu glauben, sich einzureden, sie hätte Angst gehabt, aber das stimmte nicht.
Die Fahrt selbst und ihren Gang durch die Stadt erlebte sie wie in Trance. Merkwürdige Dinge stachen ihr ins Auge. Mehrere Paare – die sich, nach ihrem äußerst unterschiedlichen Kleidungsstil zu urteilen, aber auch vollkommen fremd sein konnten – wurden im Zug so intim miteinander, dass es geradezu peinlich war. Ein hübscher Junge mit komplett tätowierten Armen ließ im Vorbeigehen eine Handvoll Blätter oder Papierschnipsel fallen, doch einen grotesken Moment lang kam es Leslie so vor, als wären es seine Tattoos, die ihm von der Haut abblätterten und in einer Brise davonflatterten. Es war surreal. Leslie stutzte angesichts all dieser Merkwürdigkeiten, aber ihr Verstand weigerte sich, länger bei diesen Dingen zu verharren. Es kam ihr irgendwie unzulässig vor, das, was sie fühlte oder sah, in Frage zu stellen. Und wenn sie es trotzdem versuchte, zwang sie irgendeine Macht in ihr, an etwas anderes zu denken, ganz gleich an was.
Aber kaum hatte Leslie das Carnegie Museum of Art betreten, war alles wieder gut. Die Merkwürdigkeiten und offenen Fragen fielen von ihr ab. Die ganze Welt fiel von ihr ab, während sie ziellos umherwanderte, an Säulen vorbei, über glatte Böden, treppauf und treppab. Atme es ein .
Schließlich ließ ihr Bewegungsdrang nach und sie verlangsamte ihr Tempo. Ihr Blick wanderte über die Gemälde, bis sie auf eins stieß, das sie innehalten ließ. Sie blieb reglos davor stehen. Van Gogh. Van Gogh ist gut.
Eine ältere Frau lief durch die Gemäldegalerie. Ihre Schuhe klackten in einem gleichmäßigen Rhythmus, der entschlossen klang, aber nicht hastig. Einige Kunststudenten saßen mit ihren aufgeschlagenen Skizzenbüchern da, hatten alles um sich herum vergessen und waren von der Schönheit dessen, was sie an den Wänden sahen, vollkommen gefangen genommen. Leslie fühlte sich in Museen immer wie in der Kirche, als atmete die Luft hier etwas Heiliges. Heute war es genau das, was sie brauchte.
Leslie stellte sich vor das Gemälde und betrachtete die sattgrünen Felder, die sich rein, schön und weit vor ihr erstreckten. Frieden . Das war es, was dieses Bild ausstrahlte, es war wie ein Stück festgehaltener Frieden.
»Beruhigend, nicht wahr?«
Erstaunt, dass sich ihr jemand so unbemerkt hatte nähern können, fuhr sie herum. Ihre gewohnte fast übertriebene Aufmerksamkeit für ihre Umgebung hatte ausgesetzt. Neben ihr stand Niall und blickte auf das Gemälde. Sein Hemd hing lässig über der locker sitzenden Jeans; die aufgekrempelten Ärmel gaben den Blick auf seine gebräunten Unterarme frei.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie.
»Dich treffen, wie es aussieht«, erwiderte er und warf einen Blick über die Schulter nach hinten. Dort stand ein
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