Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
auf Gabriel zu sprechen. Das war vielleicht nicht ganz das, was sie hatte sagen wollen, aber es war auch nicht gelogen.
»Er ist in Ordnung. Gib ihm eine Chance.«
»Er war nie ein richtiger Vater. Nicht so wie Rabbit.« Ani wollte nicht zugeben, dass ihr Leben am Hof der Finsternis nicht ganz das war, wovon sie immer geträumt hatte – nicht mal Tish gegenüber. Eigentlich hätte sie sich umgeben von Hundselfen und dem Hof weniger einsam fühlen sollen, aber das genaue Gegenteil war eingetreten. »Ich bin schließlich kein Welpe mehr. Und es ist nicht gut, dass er dich und mich nicht am gleichen Ort leben lässt, dass er mich von dir und Rab fernhält.«
»Ich vermisse dich auch.« Tish brachte immer das auf den Punkt, wovor Ani am liebsten auswich, während Ani nicht mal zugegeben hätte, dass sie mit diesen Dingen nicht umgehen konnte.
Ani lehnte sich an die Wand und genoss die rauen Kanten der Steine an ihrem nackten Rücken. Das verankerte sie im Hier und Jetzt – wo sie auch sein musste. Es hatte keinen Sinn, Erinnerungen nachzuhängen, die sie am besten ganz weit wegschob.
»Kommst du denn klar?« Tish machte eine vage Geste. Sie sprachen nie offen darüber, wie sehr Ani sich nach Kontakt sehnte – oder über die Folgen, wenn sie zu viel davon bekam.
»Klar.« Ani beobachtete eine Gruppe von Jungs, die auf die Tür zusteuerten. Sie waren nicht so gut aussehend wie Elfen und auch, was ihre Emotionen anging, nicht gerade ein Festessen, aber sie waren auf der Jagd. Und in diesem Moment reichte ihr das. Es muss mir reichen . Sie konnte von ihnen allen eine Kostprobe nehmen, sich eine Berührung hier und ein Gefühl da erschleichen, um ihren Hunger in Schach zu halten.
Nur nicht beides. Nie beides von ein und derselben Person.
Sie hakte sich bei Tish unter. »Komm.«
Glenn arbeitete heute als Türsteher. Er zuckte zusammen, als er sie kommen sah. »Dabei sah es bis gerade eben nach so einem guten Abend aus.«
»Blödmann!« Tish schmiegte sich in seine offenen Arme. »Du hättest mich vermisst, wenn ich nicht vorbeigekommen wäre.«
»Sicher, aber wenn du mit deiner Chaos-Schwester kommst …« Er legte seinen Arm vertraulich um Tishs Taille und hob sie hoch.
Ani legte den Kopf schief und sah ihn fragend an. Das ist neu . Und sie hatte es nicht mitgekriegt, weil ihr Leben bei den Hundselfen es mit sich brachte, dass sie ihre Schwester nur ungefähr alle zwei Wochen sah.
Tish lächelte zufrieden ins Glenns Armen.
»Hey.« Glenn küsste sie auf die Stirn, dann ließ er seinen Blick über die Leute in den dunklen Ecken schweifen. Welche Geschäfte sie draußen machten, wo er es nicht sah, war ihm egal, aber im Club zu dealen, war strikt verboten.
»Willst du Glenn nicht begrüßen?« Tish gab sich albern und unschuldig. Sie schlüpfte so leicht in diese Rolle, als dürften sie immer noch täglich gemeinsam ausgehen. »Du hast ihn immerhin wochenlang nicht gesehen.«
»Du hast gehört, was sie gesagt hat. Na, komm schon her.« Glenn streckte den anderen Arm aus.
Ani rückte näher und genoss die Berührung des bloßen Arms und seiner teilweise nackten Brust. Glenn trug ein ärmelloses Hemd, das nur mit einem Knopf zugeknöpft wurde. Wie die meisten Sterblichen hatte er sich an die Rückkehr des Sommers gewöhnt und zeigte gern und viel Haut.
Dann ließ er Ani los, behielt Tish jedoch im Arm. »Seid da drinnen besser vorsichtig. Alle beide.« Er blickte Ani an. »Ich mein’s ernst.«
Tish küsste ihn. »Wir werden uns alle Mühe geben.«
»Genau davor habe ich Angst«, murmelte Glenn.
»Wir wollen doch bloß tanzen, Glenn.« Ani nahm die Hand ihrer Schwester und drückte die Tür auf. »Ich verspreche dir, dass ich auf sie aufpasse.«
»Auf dich aber auch«, erwiderte Glenn.
Aber die Tür war schon offen, und sie tauchten unmittelbar in das Gedränge der Körper ein, so dass Ani nur noch zurückrufen konnte: »Ja, klar!«
Die Band spielte Old-School-Punk und es wurde getanzt. Perfekt . Vor Freude kreischend schob Tish Ani in die Menge.
Sechs
Devlin hielt nach Seth Ausschau, während er durch das Gedränge von Sterblichen im Crow’s Nest ging. Es war unkomplizierter, hier auf Seth zu warten. Die Alternative wäre gewesen, sich zum Hof der Finsternis zu begeben. Aber mit dem dortigen König klarzukommen, konnte schwierig und nervenaufreibend sein. Niall, der Gancanagh, der früher einmal im Elfenreich gelebt hatte und jetzt den Hof der Finsternis regierte, hatte sich verändert. Seine
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