Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
prügelten.
Drei
Es soll nicht der Eindruck entstehen, als hätte es ihnen nichts ausgemacht, das Gewissen goss so manchen Wermutstropfen in dieses Freudenfest des Fleisches. Kjartan zum Beispiel liebte seine Frau, das haben wir sicher schon erwähnt. Du bist meine Sonne, sagte er nicht selten. Mein Himmel. Meine Blume. Zweimal blieb er auf seinem Wiesenhöcker sitzen, als Kristin längst gegangen war, und weinte. Trotzdem trafen sie sich weiterhin, so wenig können wir gegen das Fleisch ausrichten. Der Herbst kam. Kjartan war einige Male ganz kurz davor, alles zu beichten; er nahm Asdis auf einen langen Spaziergang zum Meer hinab mit und auf eine lange Autofahrt, und er redete ohne Unterlass, nur nicht über das, worum es eigentlich gehen sollte. Er schlief unruhig, das schlechte Gewissen bemächtigte sich seiner Träume, quoll aus seinen Poren, er legte ein Handtuch neben das Bett, stand auch nachts auf, ging nach unten in die Küche, machte Licht, trank Milch, betrachtete sich in der Fensterscheibe und dachte: Ich muss damit aufhören, dachte: Ich muss es Asdis sagen. Der Zustand wirkte sich auf die tägliche Arbeit aus, er stand im Kuhstall und schaute gedankenverloren zum Fenster hinaus, während die Melkmaschine die Kühe trockenmolk, er konnte sich im Fernsehen keine Filme mehr ansehen, in denen Seitensprünge stattfanden, nicht einmal wenn er und Asdis es sich mit Schokolade, Cola und Popcorn auf dem Sofa gemütlich gemacht hatten, er wurde stocksteif, als würde jemand eine Pistole auf ihn richten, hielt es nicht mehr aus, murmelte irgendeine Ausrede und verschwand in der Garage. Vor ein paar Jahren hatte er sich einen alten Dodge, Baujahr ’55, gekauft, ein halbes Wrack, das als irreparabel galt, und seitdem hatte er viele schöne Stunden in der Garage verbracht, um den Dodge wieder zu alter Pracht aufzumöbeln. Aber selbst das verschaffte ihm jetzt keine schönen Stunden mehr, manchmal hockte er einfach nur auf der Rückbank und das schlechte Gewissen rupfte an seinem Herzen wie ein böser Raubvogel, oder er beugte sich über den Motor und musste auf einmal an Kristins Zunge denken, an die Worte, die sie ihm ins Ohr flüsterte.
Und dann kam Asdis hinter die ganze Angelegenheit.
Natürlich hatte sie schon gemerkt, dass etwas nicht stimmte, Kjartan war nervöser als sonst, zerstreut, blasser, erschöpfter, und manchmal schien er sie geradezu zu meiden. Sie machte sich Sorgen, empfahl ihm, zum Arzt zu gehen, befürchtete Krebs, Leukämie, einen sich ankündigenden Herzinfarkt. Nein, nein, wimmelte er ab, ich brauche keinen Arzt, was ja auch stimmte, denn es gibt kein Rezept gegen Seitensprung und keine Pillen gegen Gewissensbisse, jedenfalls noch nicht, aber die Wissenschaft macht ja Fortschritte. Kjartan hatte niemandem von seinen Extratouren erzählt, er hatte keinen Freund, dem er derartiges hätte anvertrauen können, Kristin aber besaß eine beste Freundin im Ort, Olafia, auch Fia genannt, und eines Tages konnte Kristin nicht länger an sich halten und musste das Geheimnis lüften; sie erzählte Fia alles, denn es war so schlimm, tat sogar richtig weh, das alles für sich zu behalten, also öffnete sie den Mund und ließ es heraus. Um ihr Gewissen zu erleichtern, ja, sicher, aber vielleicht auch um zu zeigen, dass es noch Farbe und Hitze in ihrem Leben gab, nicht nur die laue Flaute und Monotonie des Landlebens; und vermutlich übertrieb sie ein wenig, schmückte die Sache aus und behauptete, Kjartan überreiche ihr Blumen, hätte tausend Kosenamen für sie, er wäre so lieb, aber auch zügellos und wild wie ein Tier. Als wolle sie ihren Worten besonderen Nachdruck verleihen, schloss Kristin die Augen, öffnete sie dann wieder, riss sie weit auf, legte Fia die Hand auf die Hände und flüsterte: Aber sag niemandem etwas davon! Um Gottes willen, bloß kein Wörtchen zu irgendwem! Natürlich nicht, was glaubst du denn, gab Fia zurück und fragte Kristin Löcher in den Bauch, jedes Mal wenn sie sich trafen, selbst nach den kleinsten Details, als ob sie selbst an den verbotenen Sexspielen teilhaben wollte, sie fragte und fragte, bis sie selbst Kjartans Hemmungslosigkeit zu fühlen begann und die Schwere seines Leibes. Und je mehr sie fragte, desto eifriger gab Kristin Antwort, das Erzählen selbst wurde zur Lust oder eine Fortsetzung der Lust.
Vieles lässt sich von den Menschen sagen. In den meisten Individuen finden sich Schönheit und Schmutz. Der Mensch ist ein kompliziertes Wesen, eine Art
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