Song of the Slums
Verzögerung geben, keine Zeit für irgendjemanden einzugreifen. Wir werden schon an der Macht sein, bevor sie überhaupt begriffen haben, was passiert. Der 16. November ist das perfekte Datum für unseren Putsch.«
Dieses Mal ließ sich der Applaus nicht unterbinden. Astor flüsterte Verrol hinter vorgehaltener Hand zu. »Der wievielte ist heute?«
»Der 7. November.«
So bald, dachte Astor. Das waren ja nicht mal mehr zehn Tage. So wichtige Informationen … wenn sie die bloß an jemanden wie ihren Stiefvater weitergeben könnte …
Chard ließ den Applaus mehrere Minuten lang zu, doch dann hob er seine Hand ein weiteres Mal. »König George ist durch schädlichen Einfluss vom rechten Weg abgebracht worden. Wenn die Fortschrittspartei die Macht übernommen hat, werden wir sofort beginnen, ein besseres Britannien zu schaffen. Wir werden die Nachfrage ankurbeln, die Räder der Industrie wieder zum Laufen bringen und zu voller Produktivität zurückkehren. Wir machen dieses Land profitabel, indem wir unsere Fabriken profitabel machen. Und wie werden wir das schaffen?«
Die Antwort erscholl simultan aus Hunderten von Kehlen: »Krieg!«
Chard nickte. »Krieg, der Vernichter, und Krieg, der Erschaffer. Indem wir alte Güter zerstören, erzeugen wir die Nachfrage nach neuen Gütern. Wieso sollte die Armee neue Kugeln und Granaten brauchen, wenn sie die alten nicht verfeuert? Warum sollte sie neue Uniformen anschaffen, wenn die alten keine neuen Einschusslöcher bekommen? Nur die Fortschrittspartei versteht das simple eherne Gesetz ökonomischen Wachstums, nämlich dass wir produzieren, um zu ersetzen, was zerstört wurde – und nichts kann so schnell und effektiv zerstören wie ein Krieg. Unser erster Staatsakt wird eine allgemeine Kriegserklärung sein.«
Astor spürte Verrols Anspannung. Sie musste nicht zu ihm hinübersehen, um zu wissen, dass seine Fäuste geballt waren und seine Augen einen harten Ausdruck angenommen hatten.
»Doch ich bin Politiker, und Sie sind Unternehmer«, fuhr Chard fort. »Wir alle sind weder Offiziere noch Soldaten.« Ein leises amüsiertes Kichern ließ sich aus der Menge vernehmen. »Es ist nicht unsere Aufgabe, in den Kampf zu ziehen. Und deshalb freut es mich, zu verkünden, dass die Swale-Brüder dieses Problem für uns gelöst haben. Erlauben Sie mir, an Mr Bartizan Swale zu übergeben.«
Bartizan stellte sich breitbeinig hin, und seine Stimme erfüllte den gesamten Raum. »Ich bin ein Mann der offenen Worte, wie Ihnen jeder bestätigen wird. Also werde ich nicht lange um den heißen Brei herumreden. Unsere große Unternehmung verlangt nach einer repräsentativen Gestalt, die dem Militär und den Milizen gleichermaßen Respekt abnötigt. Mein Bruder Phillidas und ich haben uns deshalb der Hilfe eines der größten Kriegshelden Britanniens versichert. Eines Manns, der sämtliche Einheiten der Alliierten in der Schlacht von Pressburg befehligt und sich nichtsdestoweniger persönlich an die Spitze seines Heers gestellt hat und schwer verwundet wurde. Der Inbegriff des Patriotismus, ein Mann mit der Art von Mut, die die Leute beim Militär bewundern. Freunde, Gefährten und Unternehmer-Kollegen, darf ich vorstellen: Marshal Dorrin.«
Astor war nicht die einzige, die jetzt tief Luft holte, aber sicherlich die lauteste. Sie lehnte sich nach vorne und blickte auf das Ende der gegenüberliegenden Reihe, auf das Bartizan zeigte. Ein Mann trat hervor, der starr geradeaus blickte, wie ein Soldat während einer Parade. Er trug seine vollständige Uniform mit Reihen von Orden auf seiner Brust. Ihr Stiefvater!
»Mein einziger Wunsch ist es, meine Pflicht zu erfüllen …«, setzte er an.
»Danke, Marshal«, unterbrach ihn Bartizan und erwies ihm dadurch erheblich weniger Respekt, als die Leute beim Militär seiner Meinung nach an den Tag legen würden. »Und nun ein Toast!«
Astor starrte immer noch auf die gegenüberliegende Reihe, als Bartizan sein Glas erhob. Jetzt bemerkte sie auch ihre Mutter, kaum sichtbar hinter dem Marshal. Hatte Mrs Dorrin überhaupt begriffen, dass ihre Tochter hier war?
Im ganzen Raum wurden Gläser erhoben, um den Toast auszubringen.
»Auf den nächsten Krieg!«, brüllte Bartizan. »Den größten und längsten aller Zeiten!«
Hunderte von Stimmen wiederholten seine letzten Worte: »Größten und längsten aller Zeiten!«
• 59 •
Nach dem Toast bildeten sich überall Grüppchen, in denen die neuesten Entwicklungen eifrig besprochen wurden. Die
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