Song of the Slums
einem der Gewächshäuser ab. Sie betrat das Gewächshaus, in dem sich Palmen und Kakteen in jeder vorstellbaren Art und Größe befanden, und fand dort einen hölzernen Bottich, den sie umdrehte und als Sitzplatz benutzte.
Jetzt versuchte sie, ernsthaft über Lorrains Antrag nachzudenken. Auf der Plusseite war zu vermerken, dass er ein liebenswürdiger und sensibler Mensch war. Er hatte gesagt, er habe nie absichtlich jemanden verletzt, und das glaubte sie ihm. Außerdem hatte sie keinen Zweifel daran, dass er sie liebte und für sie sorgen würde.
Auf der Minusseite stand, dass er eine schwache Person war, aber immerhin war er sich dessen selbst bewusst. Seine Brüder schubsten ihn herum, aber sie würden ihn nicht so leicht dominieren können, wenn er sie als Ehefrau an seiner Seite hatte. Und sicherlich würde ihm ein Teil des Familienbesitzes zugesprochen, wenn er sich juristisch darum bemühte.
Auf der Plusseite stand weiterhin, dass Lorrain ihr ein Leben voller Komfort und Sicherheit bieten konnte, und ein Teil in ihr sehnte sich nach ein klein wenig mehr von beidem. Sie sehnte sich nach einem Leben, wie sie es in ihrer Kindheit gekannt hatte, nach einer ruhigen und zivilisierten Existenz. Als Lorrains Ehefrau hätte sie das alles allerdings tausendmal luxuriöser.
Auf der anderen Seite stand die Band. Was mochte sie aufgeben? Waren die Rowdys dabei aufzusteigen, oder hatten sie bereits das Ende ihres Wegs erreicht? Ihre Abwägungen verwirrten sie immer mehr, und sie kam keinen Schritt voran. Die Vorstellung, Lorrain zu heiraten, schien irgendwie außerhalb der Realität zu liegen. Und vor allem war sie sich ihrer Gefühle ihm gegenüber nicht sicher. Konnte sie ihn wirklich lieben? Würde es sich um die richtige Art von Liebe handeln? Wann immer sie versuchte, ihr Herz zu befragen, schien es ihr zu entgleiten.
Wenn sie doch bloß jemanden hätte, mit dem sie alles durchsprechen könnte. Ollifer und Reeth kamen nicht in Frage, Purdy kannte sich mit Gefühlen nicht aus, und Astors letztes Gespräch mit Mave hatte nicht viel Mitgefühl verheißen. Mit Verrol zu sprechen, schied selbstredend vollkommen aus. Sie brauchte jemanden von außerhalb der Band, jemand, der zu keiner der Fraktionen gehörte. Vielleicht ihre Mutter …
In diesem Moment unterbrach eine laute Stimme ihren Gedankenfluss. »Astor! Astor!
Astor!
«
»Hier«, rief sie zurück.
Kurz darauf steckte Mave ihren Kopf durch die Tür des Gewächshauses. »Ich hab dich überall gesucht. Reeth hat eine Versammlung einberufen. Er sagt, der Zeitpunkt der Entscheidung ist gekommen.«
• 68 •
Sie saßen um den runden Tisch im Wohnbereich: Reeth, Ollifer, Purdy und Verrol. Die Diskussion war schon in vollem Gange, als Astor und Mave dazustießen. Astor setzte sich und hörte erst einmal zu.
Reeth teilte ihnen mit, dass dies die letzte Chance der Band sei, bevor die Plutokraten ihren Alternativplan in Gang setzten. Abgesehen davon waren alle Standpunkte wie gehabt. Verrol weigerte sich, den Forderungen der Plutokraten nachzugeben, und Reeth und Ollifer wollten, dass er aus der Band ausstieg.
Reeth versuchte, Mave von ihrer Unterstützung für Verrol abzubringen. »Ich weiß, dass du dich nicht für Politik interessierst, sondern nur für Musik. Ich würde niemals irgendeinen deiner Songs ändern wollen. Mein neuer Text ist sowieso Mist. Ich habe acht der alten Stücke benutzt, und ihr müsst nichts anderes machen, als sie wieder und wieder zu spielen.«
Mave verzog den Mund und sagte nichts. Reeth verdoppelte seine Anstrengungen.
»Wenn die erst einmal losmarschieren und ihre Kommandos geben, wird doch sowieso niemand auf uns achten. Die werden viel zu viel damit zu tun haben, ihr politisches Zeugs durchzuziehen. Und dann, hinterher, wird alles wieder so sein, wie es gewesen ist.«
»Bezieht sich das auch auf
ihn
?« Mave zeigte auf Verrol. »Er kann also hinterher wieder Mitglied der Band sein?«
Reeth biss sich auf die Lippe. »Ich hatte eigentlich von der Musik gesprochen.«
»Ich würde sowieso nicht wieder einsteigen wollen«, machte Verrol klar, »nicht bei einer Band, die ihre Seele verkauft hat.«
»Siehst du?« Jetzt bezog Reeth auch Astor ein. »Er will keinen Kompromis eingehen, will nicht verhandeln. Er ist einfach unmöglich.«
All das hatte Astor bereits vielfach gehört. Ihre Konzentration ließ nach, und sie dachte wieder an die Szene im Erkerfenster: wie Lorrain stotternd seinen Antrag vorgebracht hatte … wie er ihr
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