Sonne, Meer und Bea (German Edition)
Uhrzeit den Wecker zu spielen? Ich höre die Mitreisenden grummeln und sich auf die andere Seite drehen, um weiter zu schlafen. Andere hingegen haben sich gar nicht erst stören lassen.
Auch mir wirft die junge Frau einen flehenden Blick zu, als sie vorbeieilt. Dem Akzent nach kommt sie aus Skandinavien. Ich hebe ratlos meine Schultern und gähne ausgiebig. Was für eine beschissene Nacht!
Paul setzt sich unten auf und ich luge über den Pritschenrand.
»Guten Morgen, Maja! Na, auch schon ausgeschlafen?«
»Nee, aber wach. Dabei wollte ich doch so lange wie möglich liegen bleiben, damit die Fahrt schneller vorbei geht. Was musste die denn auch für einen Krach machen!«
»Da hat aber jemand schlecht geschlafen. Meine Nacht war herrlich! Angekuschelt an meinen Rucksack … Das arme Mädel hätte lieber auch mit ihrem Rucksack kuscheln sollen. Dann wäre ihr Gepäck jetzt noch da!«
»Und sie hätte nicht den halben Zug wecken müssen!«
»Komisch, dass alle anderen weiterschlafen und nur wir wach sind. Maja, hör auf zu schimpfen und komm zu mir runter, anstatt wirklich noch alle aufzuwecken! Wir holen uns jetzt einen heißen Chai und frühstücken gemütlich!«
Frühstücken, um fünf Uhr morgens? Paul hat echt Humor! Missmutig klettere ich hinab und setze mich ihm gegenüber. Paul lacht mich an. Er schaut nach rechts zur schlafenden Familie, beugt sich zu mir herüber und drückt mir schnell einen Kuss auf den Mund.
»Guten Morgen, mein Liebling!«
Wie schön! Das war mir aber viel zu kurz. Ich schaue nach links. Die Familie ist ruhig und friedlich. Schnell beuge auch ich mich vor und gebe Paul einen stürmischen Kuss.
»Langsam, langsam. Hebe dir lieber noch was für das Hotel auf!«
Ich grinse und lehne mich zurück. Ich glaube, der Tag wird noch gut.
Der erste Teeverkäufer kommt durch den Wagen und freut sich über unseren Zuspruch. Der auf ihn folgende Frühstücks-Verkäufer ebenso.
Während wir uns über unser Paratha-Frühstück hermachen, steht auch die Familie auf. Der Vater erwacht mit einem Lied auf den Lippen und geht pfeifend auf die Latrine. Ist das „All my loving“ von den Beatles? Das kenne ich doch.
»Close your eyes and I'll kiss you, tomorrow I'll miss you …« Leise vor sich hin singend, kehrt der Mann vom Klo zurück und grinst uns an. Oh, hat er unser kleines Kuss-Szenario mitbekommen? Ach, wahrscheinlich ist er einfach nur gut drauf. Doch jetzt zwinkert er mir zu. Ich gucke schnell weg. Wir müssen wohl etwas zurückhaltender sein.
Der Mann tuschelt mit seiner Frau. Sie wirft uns einen verstohlenen Blick zu.
»Die ziehen bestimmt über uns her«, meine ich zu Paul. »Der Mann hat unsere Küsse mitbekommen.«
»Echt? Die können doch auch laut lästern, wir verstehen ja eh kein Wort.«
Jetzt schauen uns beide auch noch neugierig an. Der Mann richtet seine Worte nun direkt an uns und will wissen, woher wir kommen.
»Germany.«
»Ah, Germany. The land of Hitler. I like Germany! I like Hitler!« Der Vater ist begeistert.
Was soll man darauf antworten? Wir versuchen höflich, aber knapp, das Gespräch zu beenden. Da kommt uns die junge Skandinavierin gerade recht, die noch verzweifelter als eben zurückkehrt. Sie hat es aufgegeben, die Touristen anzusprechen. Ihr Gesicht ist von Tränenspuren gezeichnet. Jetzt tut sie mir doch leid. Anscheinend ist sie ganz alleine.
Wir wenden uns ihr zu, und Paul richtet in seiner sozialen Ader einige mitfühlende Worte an sie. Sie erzählt weinend, dass sie nur ganz kurz eingenickt sei. Als sie erwachte, waren ihr Rucksack und ihre Umhängetasche weg. Wir raten ihr, den Schaffner aufzusuchen, der wirkte wirklich kompetent! Der hilft bestimmt! Vielleicht taucht ihr Rucksack dann doch wieder auf. Ich drücke ihr noch eine Packung Butterkekse in die Hand. Die Arme hat bestimmt Hunger, jetzt wo ihr ganzes Gepäck weg ist. Sie nimmt verdutzt die Kekse entgegen. »Good luck!«, rufen wir ihr noch hinterher. Sie stolpert weiter durch den Zug. »Conductor? Conductor?«, hören wir sie immer leiser fragen.
Das wäre erledigt. Immerhin, wir haben ihr geholfen und nicht weggeschaut. Die gute Tat für heute ist vollbracht. Zufrieden lehnen wir uns zurück und genießen den Ausblick. Als ich kurz davor bin wegzudämmern, dämmert es mir.
Wie war das mit dem gelben Rucksack heute Nacht? Ich teile Paul meine Gedanken mit.
»Mensch Maja, das war bestimmt ihr Rucksack! Das hättest du ihr sagen müssen. Das arme Mädchen sucht den ganzen Zug
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