Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
gab einen Schauprozess, die Angeklagten wurden für schuldig befunden, und am nächsten Tag wurden sämtliche Arbeitskräfte auf dem abgestorbenen Rasen des größten Parks der Stadt versammelt, um Zeuge ihrer Hinrichtung zu werden.
Der Spion stand im hinteren Teil der Menge und beobachtete den jungen Mann, den er beschattete. Er beschloss, ihm nach der Hinrichtung zu folgen. Die drei verurteilten Gefangenen wurden barfuß und in neue blaue Overalls gekleidet von brasilianischen Wachen, die sich mit der Unbeholfenheit von Menschen bewegten, die die niedrige Schwerkraft Diones nicht gewöhnt waren, auf eine Bühne geführt. Ein Offizier verlas eine kurze Stellungnahme und warnte die Zuhörer, dass alle weiteren Akte des Verrats oder der Sabotage, die den Wiederaufbau der Stadt und die Wiederherstellung der Ordnung gefährdeten, mit extremer Gewaltanwendung geahndet werden würden. Der Spion hörte nicht zu. Er reagierte nicht einmal, als die drei Frauen eine nach der anderen durch Schüsse in den Hinterkopf getötet wurden. Am anderen Ende der großen Menge hatte er jemand entdeckt, den er kannte. Keiko Sasaki, die Frau, die vor dem Krieg mit Zi Lei befreundet gewesen war und sich um sie gekümmert hatte.
Das war eigentlich nicht möglich. Er hatte die brasilianischen Aufzeichnungen auch nach Informationen über sämtliche Leute durchsucht, die Zi Lei gekannt hatte. Keiko Sasakis Name war in der Liste der Toten gewesen. Und doch war sie hier.
Als der Schreck des Wiedererkennens nachließ, wurde dem Spion klar, dass es nur einen Grund geben konnte, warum sie als tot verzeichnet war und dennoch unter einem anderen Namen in der Stadt lebte: Sie war ein Mitglied des Widerstands. Trotz des Risikos beschloss er auf der Stelle, dass er so bald wie möglich mit ihr reden musste.
Es dauerte weniger als vierundzwanzig Stunden, bis er herausgefunden hatte, dass Keiko Sasaki im Krankenhaus der Stadt arbeitete und im selben Wohnblock lebte wie die Freundin des Mannes, dem er gefolgt war. Der Spion bezweifelte, dass das Zufall war, und kam zu dem Schluss, dass es zu gefährlich wäre, sie in ihrer Wohnung zu besuchen. Stattdessen ging er drei Tage, nachdem er sie bei der Hinrichtung gesehen hatte, in das Krankenhaus, näherte sich ihr unauffällig und klebte ihr ein Betäubungspflaster auf den Hals. Er fing sie auf, als sie zu Boden sank, und trug sie in einen Lagerraum.
Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, zerrte sie kurz an den Plastikbändern, mit denen er ihre Hand – und Fußgelenke wie bei einer Kreuzigung an einem Regal festgebunden hatte, und machte Geräusche unter dem halblebendigen Verband, mit dem er ihr den Mund verschlossen hatte.
Er zeigte ihr das Messer, das er aus einem Fullerensplitter angefertigt hatte, erzählte ihr, wer er war, und sagte ihr, dass er sie umbringen würde, sollte sie versuchen, zu schreien, wenn er ihr den Knebel abnahm.
»Ich werde den Brasilianern nichts davon sagen, dass Sie Teil des Widerstands sind. Das ist mir egal. Ich bin nur an Zi Lei interessiert. Nicken Sie, wenn Sie bereit sind, mit mir zu reden.«
Keiko Sasaki nickte. Sie war eine schlanke Frau, die seit ihrem letzten Treffen um zehn Jahre gealtert zu sein schien.
Ihr Gesicht war abgehärmt und ihre Augen eingesunken und von dunklen Ringen umgeben. Aber ihr Blick funkelte wütend, und sie zuckte nicht zusammen, als der Spion den halblebendigen Verband abriss.
»Ich habe gehört, Sie seien tot, Ken.«
»Und ich habe dasselbe über Sie gehört. Trotzdem sind wir beide hier. Wo ist sie?«
»Was haben Sie mit Ihrem Gesicht gemacht?«
»Wo ist sie?«
Keiko Sasaki erschrak, als er die Spitze seiner improvisierten Klinge unter ihr linkes Auge drückte, und sagte rasch: »Ich weiß nicht, wo sie ist, aber sie hat Familie auf Iapetus. Ich habe gehört, dass sie nach ihrer Flucht aus dem Gefängnis versucht hat, auf eines der Schiffe zu gelangen, die Dione verlassen haben. Ob das Schiff Iapetus erreicht hat oder zu denen gehörte, die weniger Glück hatten, weiß ich nicht. Aber wenn es ihr tatsächlich gelungen sein sollte, Iapetus zu erreichen, und sie immer noch am Leben ist, dann weiß ich, dass sie vor Ihnen sicher ist.«
»Sie hat mir nicht erzählt, dass sie von Iapetus stammt.«
»Sie wussten nicht allzu viel über sie, nicht wahr? Sie wussten nicht einmal, dass sie unter Schizophrenie leidet, bis ich es Ihnen gesagt habe«, erwiderte Keiko Sasaki. »Sie waren nicht an ihr als Mensch interessiert. Für Sie war sie
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