Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
zuzuschlagen. Schatten versuchte eine Klangillusion hinter sich zu lassen, aber er hatte nicht genug Atem übrig und das Bild löste sich schon auf, bevor es ihm aus dem Mund heraus war.
Er hatte den Bach aus den Augen verloren, aber dann war er plötzlich doch wieder unter ihnen, und sie jagten über ihm entlang, als er aus den Bäumen trat und in einer hohen Steinmauer verschwand. Er würde sie noch weiter von ihrem eigenen Wald entfernen, aber was für eine Wahl hatten sie jetzt noch?
„In den Bach!“, rief er. Er legte die Flügel an und hatte kaum Zeit um Luft zu holen, bevor er die Wasseroberfläche durchschlug und in den Tunnel schoss. Wieder war er blind, unter Wasser begraben, nur sein eigener Schwung und die Strömung gaben ihm Richtung. Wieder versuchte er seine Flügel zu gebrauchen und diesmal hatte er mehr Erfolg. Er hielt sie fest zusammen, bewegte sie auf und ab und benutzte auch die Schwanzmembrane, um sich vorwärts zu treiben. Das erschöpfte ihn aber auch schneller, und was wäre, wenn es kein Ende gab, wenn der Tunnel immer weiter unter der Erde verlief, bis seine Lungen mit Wasser angefüllt waren?
Dann war er durch, hielt den Kopf über Wasser und schnappte nach Luft. Neben ihm kam plätschernd auch Marina hoch.
Schon während sie entschlossen das Ufer hochkrochen, bemerkte er die Hitze – eine wilde, alles durchdringende Hitze, die wie Dunst in der Luft hing. Über ihnen waren Bäume, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte, mit merkwürdigen, breiten Blättern und es gab üppige Farnwedel. Es nieselte, warme, weiche Wassertropfen fielen sanft zu Boden.
Er hatte kaum Zeit zu Atem zu kommen, als Marina steif wurde. „Schau!“, sagte sie.
Im Bach sah Schatten eine große Gestalt das Wasser verdunkeln, bevor sie zur Oberfläche durchbrach. Die Eule war mitgekommen.
Schatten konnte sich nicht entscheiden, ob ihm die Eule in ihrem nassen Zustand weniger oder mehr Furcht einflößte. Jedenfalls sah sie schlanker aus, da ihr sonst bauschiges Federkleid jetzt am Körper klebte. Aber der Kopf mit dem verfilzten Gefieder schien auf eine wilde Weise mager, Augen und Schnabel wirkten noch größer und bösartiger.
Schatten war neben Marina erstarrt und beobachtete, wie die Eule zum Ufer taumelte und sich erschöpft aus dem Wasser hievte. Dann drehte sie den Kopf und starrte sie an. Sie standen sich abwartend gegenüber, nicht mehr als zwanzig Flügelschläge voneinander entfernt.
Das junge Eulenmännchen machte einen heroischen Versuch sein Gefieder auszubreiten, es gelang ihm aber lediglich, Wassertropfen aus den durchnässten Flügeln zu schütteln. Das durchdringende Kreischen, das aus seinem Maul drang, war schon eindrucksvoller.
Zu erschöpft zum Fliegen zwang Schatten sich, nicht zurückzuzucken.
Die Eule legte den Kopf schief, erst nach links, dann nach rechts, hielt ihn fast waagerecht. Es war eine merkwürdige Geste, fast komisch, aber Schatten wusste, sie maß nur die Entfernung zu ihnen ab und bereitete sich darauf vor zuzuschlagen.
Instinktiv bleckten Schatten und Marina die Zähne und zischten, breiteten die Flügel aus und verdreifachten ihre Größe.
„Hau ab!“, schrie Schatten.
„Ich habe keine Angst vor euch“, sagte die Eule, aber Schatten entdeckte einen Hauch von Unsicherheit in ihrer tiefen Stimme. Der Vogel blickte zur Öffnung des Baches, als hoffte er, dass bald weitere Eulen folgen würden.
„Er besteht zur Hälfte aus Federn“, sagte Schatten laut zu Marina.
„Du hast Recht. An ihm ist nichts dran.“
Langsam schwankte die Eule von einer Seite zur anderen.
Die Hitze kroch wie Gewürm durch Schattens Fell. Selbst an dem heißesten Sommertag, an den er sich erinnern konnte, war es nicht so gewesen wie hier. Er wagte einen Blick hinauf zu den breiten Blättern, den moosbedeckten Schlingpflanzen, die von den Ästen herabhingen. Das Atmen fiel ihm schwer.
„Dämliche Fledermäuse.“ Die Eule schaute noch einmal auf das Wasser.
„Keiner wird dir zu Hilfe kommen“, sagte Schatten. „Sie sind zu groß, um durchzupassen. “
„Ihr seid mit ihnen verbündet, oder?“, spuckte die Eule aus. „Mit den Menschen. Sie sind dort drinnen gekommen, um euch zu helfen. Sie haben euch geholfen zu entkommen und sie haben all die anderen Eulen getötet.“
„Sie sind nicht tot“, sagte Schatten. „Sie haben sich noch bewegt.“
Er konnte nicht anders, aber er fühlte ein wenig Mitleid mit der Eule. Sie hatte gesehen, wie vor ihren traumverschleierten Augen
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