Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
abgelehnt und ziehen es vor, für sich zu bleiben. General Cortez ist, wenn ich mich nicht irre, der gegenwärtige Herrscher, eine sehr unabhängige Ratte.“
Herold musste den besorgten Blick gesehen haben, den Marina Ariel zuwarf.
„Ich glaube aber nicht, dass es irgendwelchen Anlass zur Beunruhigung gibt. Vielleicht helfen sie uns nicht, aber ich kann mir nicht denken, dass sie etwas gegen eure Anwesenheit haben, wenn erst einmal klar ist, dass ihr unter unserem Schutz steht.“
Wenn Marina nicht schlief, verbrachte sie die Zeit damit, sich leise mit Ariel darüber zu unterhalten, was sie wohl erwarten würde, was sie tun sollten, um Schatten zu finden – und manchmal sprachen sie auch über andere Dinge, über bessere Zeiten damals in den nördlichen Wäldern, über bevorzugte Ruheplätze und Jagdgründe.
Marina musste wieder eingeschlafen sein, denn plötzlich weckte sie ein scharrendes Geräusch. Sie warf Klangstrahlen aus und sah, dass der Fluss einfach aufgehört hatte. Ein paar Stunden lang war das Wasser flach und träge gewesen, sodass die Ratten die Barke mit langen Stangen vorwärts staken mussten. Und nun war das Boot in den Untiefen eines breiten, schmutzigen Ufers in einer Höhle auf Grund gelaufen. Marina merkte plötzlich, wie heiß es sogar unter der Erde war. Ihr Fell juckte davon.
„Die Wasserwege führen nicht weiter“, sagte Odysseus. „Wir sind da.“
Flankiert von den beiden Soldaten sprang Herold vom Boot und watete an Land. Marina folgte mit Ariel.
„Wir müssen uns bei General Cortez melden“, sagte Herold, „und dann...“
„Halt!“, ertönte eine grobe Stimme aus einer niedrigen Tunnelöffnung in der Höhlenwand.
In Sekundenschnelle tauchte ein dutzend Ratten auf und stand ihnen am oberen Rand des schlammigen Ufers gegenüber. Es waren wild aussehende Geschöpfe mit mächtigen Schultern, stumpfen Schnauzen und bleichen Mäulern.
„Fledermäuse!“, zischte der Wachoffizier zu Herold. „Ihr habt Fledermäuse dabei?“
„Sie stehen unter unserem Schutz“, antwortete der Botschafter kühl. „Wir reisen im Auftrag von König Romulus und ...“
„König Romulus“, schnaubte der Wächter. „Was haben wir mit diesem nördlichen König zu tun? Er ist nicht unser König.“
„... und wir bitten um eine Audienz bei General Cortez.“ Nicht einmal, als die südlichen Ratten drohend näher rückten, zuckte Herold mit der Wimper noch bebte seine Stimme. Marina war beeindruckt. Sie selbst war bereit jederzeit davonzufliegen.
„Wir sind eine kleine Gesandtschaft“, fuhr Herold fort. „Diese zwei Soldaten sind meine einzige Eskorte.“
„Wir wissen das“, sagte der Wachmann. „Wir haben euer Boot die letzten sechs Stunden beobachtet. Wir wissen, dass ihr allein seid.“
„Dann wisst ihr, dass wir keine Bedrohung darstellen. Ich hatte dich gebeten uns zum General zu bringen.“
Der Wächter der südlichen Ratten rümpfte wieder die Nase und wandte ihnen den Rücken zu. „Folgt mir“, sagte er knapp und ging voran.
General Cortez sah überhaupt nicht so aus, wie Marina ihn sich vorgestellt hatte. Nach den Wächtern zu urteilen, hatte sie sich eine träge, fette Ratte vorgestellt, die auf einem Haufen Abfall lagerte. Aber der General in seiner trockenen Felsenfestung gerade über der Erdoberfläche war schlank und fast elegant. Seine Schnurrhaare wuchsen so dicht, dass sie unter der Nase beinahe einen Schnurrbart formten, und an seinem Kinn waren die dunklen Haare zu einem sauberen dreieckigen Bart geschnitten. Am eindrucksvollsten waren seine Augen. Anders als alle anderen Rattenaugen, die Marina gesehen hatte, waren seine unglaublich hell und durchsichtig. Folglich wirkte sein Blick durchdringend wie zwei Diamanten, die durch alles schneiden konnten.
Marina sah Licht durch die Spalten in der aus Steinen und Stöcken errichteten Zitadelle und war dankbar, dass sie endlich über der Erde war, obwohl die Hitze unangenehm drückte. Sie wünschte, sie könnte sich selbst zum Mausern bringen.
„General Cortez“, sagte Herold, „ich bin ein Gesandter von König Romulus. Er hat mich beauftragt Euch diese beiden Fledermäuse zu übergeben in der Hoffnung, dass Ihr ihnen helfen könnt, nach anderen ihrer Art zu suchen, die von den Menschen hierher gebracht worden sind.“
„Wir empfinden keinerlei Freundschaft gegenüber Fledermäusen“, sagte Cortez und blickte ablehnend von Marina zu Ariel. „Eure Kannibalenvettern sind dabei, den Dschungel durcheinander zu
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