Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
wie ein schmerzhaftes Bellen. „Nocturna? Von der kannst du keine Hilfe erwarten. Falls sie überhaupt existiert.“
Caliban und die anderen sahen aus, als hätten sie einen Schlag ins Gesicht erhalten.
„Wie kannst du das sagen?“, fragte Caliban schockiert.
„Wo ist sie denn?“, fragte Schatten und fühlte, wie in seinem Inneren der Zorn anschwoll. „Woher weißt du, dass das nicht alles eine große Täuschung gewesen ist, eine Lüge, und wir sind Idioten gewesen und haben uns daran geklammert? Wie wir auch Idioten gewesen sind und an das Geheimnis der Ringe geglaubt haben und daran, dass die Menschen uns helfen würden. Schaut doch, was sie uns angetan haben! Wo war denn Nocturna, als wir sie gebraucht haben?“
„Du hast überlebt“, erinnerte ihn Caliban und deutete mit dem Flügel auf die Statue, „wir alle haben überlebt. Aber jetzt müssen wir diesen Ort verlassen. Schau dich um, Silberflügel. Haben diese Fledermäuse nicht genug gelitten? Willst du, dass sie mit dir in den Dschungel gehen in der Hoffnung, dass du ein oder zwei andere retten kannst? Nein. Du weißt, wozu diese Kannibalen fähig sind. Es gibt keine wirkliche Hoffnung, gegen die zu gewinnen.“
„Ich erwarte keine Hilfe“, sagte Schatten trotzig.
„Wir werden nicht auf dich warten“, sagte Caliban. „Es tut mir Leid, aber wenn du gehst, gehst du allein.“
Als sich die Sonne vom Horizont löste, flog Schatten noch höher hinauf, in engen Spiralen direkt von der Zuflucht in der Statue aus. Er wollte so hoch wie möglich fliegen, nicht nur aus Gründen der Sicherheit, sondern auch, damit er in die Ferne schauen konnte.
Und vielleicht auch in die Ferne hören konnte.
Es war Wahnsinn, bei Tageslicht zu fliegen, und er wusste es. Da waren Adler, Geier und vielleicht sogar Flugmaschinen der Menschen. Aber er wollte allein sein, um Klarheit in seine Gedanken zu bringen und zu entscheiden, was er tun musste. Es war lange her, seit er im vollen Glanz der Sonne geflogen war. Diese Tage im Wald der Menschen mit ihrer gedämpften Sonne zählte er nicht.
Er spürte, wie sein schwarzes Fell unangenehm in der Hitze brannte. Aber als er immer höher stieg, kühlte ihn die Luft. Noch höher. Als er schließlich nach unten blickte, sah er die ganze Stadt unter sich ausgebreitet, in beruhigender Entfernung. Die Statue und die hohen Berge und dann die Dunkelheit des Dschungels, so weit er sehen konnte.
Nach Osten lag Wasser, eine lange Küstenlinie, die sich in einer sanften Kurve nach Norden erstreckte.
Das würde ihr Weg nach Hause sein. Was auch immer davon übrig war.
Was sollte er tun? Wie sehr er sich doch Frieda oder Ariel herbeiwünschte und besonders Marina, dass sie ihm bei seiner Entscheidung helfen könnten.
Vorher war es so einfach gewesen. Mit den anderen nach Norden zu fliehen war die einzige Möglichkeit. Aber nun hatten die Kannibalen Chinook in ihrer Gewalt. Und sein Vater lebte noch – jedenfalls war er vor drei Nächten noch dort gewesen. Der Haken, der ihn Millionen von Flügelschlägen gezogen hatte, steckte wieder fest in seinem Herzen. Wie konnte er jetzt wegfliegen? Ohne wenigstens versucht zu haben seinen Vater zu retten?
Es war nicht so einfach – etwas zog ihn in die entgegengesetzte Richtung.
Wenn er mit den anderen nach Norden flog, könnte er das Gebäude der Menschen finden und die übrigen warnen, bevor mehr von ihnen nach Süden in den Tod gebracht wurden. Er könnte vielleicht das Leben von Tausenden retten – darunter Ariel und Frieda und Marina.
Er streckte seine Nase in den Wind und fühlte seine kühle Liebkosung auf dem heißen Gesicht. Über ihm eilten Wolkenbänke nach Nordost und sein Herz zog mit ihnen – wie leicht war es doch für sie ihre Reise zu machen, ihr Flug war so sicher, ihre Ankunft so gewiss. Und er wollte jetzt gleich mit ihnen fliegen. Nach Norden, nach Hause. Diesen scheußlichen Dschungel hinter sich lassen.
Aber vielleicht hatte Marina die anderen schon gewarnt und es bestand gar keine Notwendigkeit mehr für seine Reise. Soweit er wusste, waren sie ja vielleicht schon entkommen. Es gab aber keine Möglichkeit, das zu erfahren, außer ...
Er bog wieder nach Norden. Klang sollte seine besondere Gabe sein. Frieda hatte gesagt, er sei besonders gut im Zuhören, dass er Dinge hören könnte, die andere nicht hörten. Und Zephir, die weiße Fledermaus, der Hüter des Turms, hatte ihm einmal gesagt, man könne sogar die Sterne hören, wenn man über Ohren verfügt, die
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