Sonnenkoenig
betrachtete sie ihre Hände. »Ist das Farbe?«
Oh, Mädchen, da kommen ganz schön
große Lücken ans Tageslicht. Ninus schüttelte den Kopf. Carla sah ihn fragend
an.
»Blut«, antwortete Ninus und hielt
sich sprungbereit, falls eine weitere Ohnmacht anstand. Carla schien sich
jedoch immer mehr im Griff zu haben.
»Soll ich uns nicht doch schnell
etwas zum Essen holen?« Ninus startete den nächsten Ablenkungsversuch.
»Wir könnten zusammen frühstücken
gehen. Die Haltbar ist doch gar nicht weit«, schlug Carla vor.
»Keine gute Idee.«
»Warum nicht?«
»Ihre Kleider …«
»Nicht im Bad, was?«
»Doch, doch, nur etwas
verunreinigt.«
»Schmutzig?«
Ninus wurde langsam zum
Weltmeister im Kopfschütteln. War sie naiv, verstellte sie sich oder saß der
Schock dermaßen tief? Blendete sie die simpelsten Kombinationen kurzerhand aus?
Mehr eine Frage für Analytiker der Seele.
»Nicht schmutzig?«
Ninus deutete auf ihre Hände.
»Blut?«
Zur Abwechslung durfte Ninus
nicken.
»Gehen Sie doch besser alleine.«
»Sie machen mir zwischenzeitlich
keine Dummheiten, fallen nicht in Ohnmacht, werfen keine Regale um, laufen
nicht weg oder so was?«
»Nein, versprochen. Ich gehe in
der Zwischenzeit wieder ins Bad. Vielleicht kann ich mich etwas renovieren.«
»Die Dusche hat gestern noch
funktioniert.«
Damit stand er auf und verließ die
Wohnung.
Die Strecke zum Bäcker hatte er
noch nie in dieser kurzen Zeit zurückgelegt und sich zum ersten Mal in seinem
Leben in einem Geschäft vorgedrängelt. Zum Glück kannte er die Verkäuferin, die
ihm sein Verhalten durchgehen ließ und ihn sofort bediente.
Mit Brötchen, Butter, Käse und
Wurst in der Baumwolltasche sprintete er wieder zurück. Eine ordentliche
Bäckerei heutzutage öffnete nicht nur vor 7 Uhr, sondern hatte alles, was
zu einem Frühstück benötigt wurde. Atemlos kehrte Ninus in seine Wohnung
zurück. Neben dem Sofa standen die drei Einkaufstüten, im Bad auf dem Boden
lagen ein beiger Slip und ein hautfarbener BH. Von Carla war nichts zu sehen.
II. Die weinende Carla an Joes Grab
Ein wunderbarer Morgen zum Joggen. Normalerweise.
Heute fiel es Kordula Crown schwer, ihre gewohnte Strecke durch die
Walkmühltalanlage bis zum Waldhaus zu laufen, um sich freizumachen und Kraft zu
tanken für die Aufgaben, die auf sie warteten.
Wie jeden Tag gegen 7 Uhr hatte
sie sich die Sportkleidung angezogen, den MP3-Player umgehängt und war
losgelaufen. Sie fand heute nicht den richtigen Rhythmus. Unentwegt dachte sie
an das bevorstehende Treffen mit dieser Journalistin. Wie weit konnte sie ihr
vertrauen? Was ihr erzählen, was zurückhalten? Es war ein gefährliches Spiel.
Einerseits wollte sie mehr Licht in die dunklen Geschäfte ihrer Partner
bringen, andererseits musste sie höllisch aufpassen, nicht selbst unter die
Räder zu kommen, sprich vor dem Kadi zu landen. Journalisten unterlagen der
Schweigepflicht, meinte sie zu wissen. Zumindest mussten sie nicht ihre
Informanten preisgeben. Das war das Positive an der ganzen Situation.
Wenn alles nach Plan verlief,
könnte sie vielleicht mit der Staatsanwaltschaft einen Deal aushandeln, die
Kronzeugenreglung für sich in Anspruch nehmen. So weit war es noch lange nicht.
Jetzt sollte zunächst durch
gezielte Stiche ins Wespennest die gesamte Brut aufgescheucht werden.
Vielleicht fiel dabei noch der eine oder andere um und stellte sich auf ihre
Seite.
Die Musik nervte. Eigentlich
gehörten Smetanas ›Die Moldau‹ und ›Mein Vaterland‹ zu ihren Lieblingsstücken,
zumindest beim Joggen. Sie stellte den Player ab.
Am Ende der Anlage bog sie rechts
ab und lief auf dem Waldweg weiter. Vielleicht haben wir es schlichtweg
übertrieben. Geldgier und Streben nach Macht haben den Blick vernebelt. Sie
haben sich für unbesiegbar gehalten. Was sollte sie auch anderes denken, wenn
selbst einige Minister der hessischen Staatskanzlei, einschließlich des
Präsidenten, geradezu den Kontakt zu ihnen und ihren Firmen suchten. Der Grad
zwischen erlaubten Geschäften und kriminellen Handlungen war sehr schmal und
die Grenzen leicht, sehr leicht, zu übertreten.
Kordula meinte genau zu wissen,
wann sie und ihre Freunde diese Grenze das erste Mal überschritten hatten.
Im Februar 1995 saß
Kordula Crown zusammen mit ihrem angestellten Fotografen Paul Burow im Büro der
Medien- und Eventagentur Cos-Prom. Sie war die rechte Hand des
Geschäftsführers, der ihr vertraute. Schließlich hielt sie die gleiche Menge
der
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