Sonnenkoenig
Karton
in Höhe des Schlüssellochs unter der Tür hindurch und stocherte mit dem Draht
im Schlüsselloch herum. Der Schlüssel steckte verdreht, ließ sich nicht
hinausdrücken. Geduldig fummelte Ninus in dem Loch herum und schaffte es so,
den Schlüssel Stück für Stück in die richtige Position zu drehen. Er stieß zu,
der Schlüssel rutschte raus und landete auf der Pappe. Ganz langsam zog er sie
zu sich heran, unter der Tür durch. Als er den Schlüssel, ein altes, leicht
verrostetes Exemplar, in der Hand hielt, wollte er es selbst nicht glauben. Es
hatte geklappt. Allen Krimidrehbuchautoren dieser Welt sei gedankt.
V. Leider muss ich
meinen Plan ändern
Die scharfe, spitz zulaufende Klinge des
Klappmessers an Carlas Hals ritzte sich immer tiefer in ihre Haut. Ein erster
Blutstropfen quoll hervor, lief am Metall entlang und fiel zu Boden. Der Arm um
ihren Hals drückte ihr fast den Kehlkopf ein. Sie wagte nicht, sich zu bewegen.
»Leider muss ich meinen Plan
ändern«, hauchte ihr die Stimme ins Ohr.
»Du hast doch … was … du …
wolltest«, ächzte Carla.
Ohne auf sie zu hören, fuhr die
Stimme an ihrem Ohr fort. »Es tut mir nicht leid um dich. Im Gegenteil. Nur um
meinen schönen Plan ist es schade. Du darfst mich jetzt begleiten, besser
gesagt, ich muss dich mitnehmen. Das haben wir deinem kurstädtischen James Bond
zu verdanken. Gäste, die ohne ein Wort des Abschieds abhauen, kann ich einfach
nicht ausstehen.«
Ninus ist geflohen, schoss es
Carla durch den Kopf. Er ist in Sicherheit. Gott sei Dank. Jetzt ist es mir
egal, was Rolozko vorhat. Ihre Anspannung löste sich. Seit dem letzten Gespräch
mit Kommissar Wanninger hatte sie sich wie eine Klippenspringerin kurz vor dem
Absprung gefühlt. Alle Nerven auf Hochspannung, Adrenalinausstoß bis zum
Gehtnichtmehr und das Gefühl, springen zu müssen und gleichzeitig unendliche
Angst davor zu haben. Beppos Plan war wohl aufgegangen.
Wie auf heißen Kohlen saßen Wanninger und Carla
Cosian im Büro des Kommissars. Unentwegt starrten sie auf Carlas grünes
Designer-Handy, das vor ihnen auf dem Tisch lag. Tim Helfrich, ein Techniker
des LKA und Freund Beppos, war gegangen, nachdem er Carla verdrahtet und die
CD-Hülle mit einem winzigkleinen GPS-Sender versehen hatte. Kurz zuvor waren
sie und Beppo in Ermangelung an Zeit schnell ins nächste Kaufhaus geeilt, um
neue Klamotten für Carla zu kaufen. Die billige Unterwäsche saß überhaupt nicht
gut, die Jeans war zu lang und die kurzärmlige Bluse spannte am Rücken.
Als plötzlich das Signal
ertönte, das den Eingang einer neuen Textnachricht verkündete, schraken sie
dennoch hoch. Mit zitternden Fingern drückte Carla zwei Knöpfe und las laut
vor: ›20 Uhr. In meinem Haus. Alleine.‹
»In seiner Villa? Ich kann mir
nicht vorstellen, dass er dort Ninus gefangen hält«, überlegte Beppo laut. »Das
gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht. Wenn du da alleine reingehst, kann ich
nichts machen. Ich werde zwar hören können, was ihr redet, aber das nutzt
nichts. Für eine Übergabe im Freien oder an einem öffentlichen Ort habe ich die
entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Ist doch raffinierter, der Kerl, als
wir dachten. Schreib ihm zurück, du kämst nicht in sein Haus. Mal sehen, wie er
reagiert.«
Carla drückte erneut zwei
Telefontasten. »Geht nicht. Er hat die Nummer unterdrückt. So, wie ich ihn
kenne, hat er das Handy, von dem aus er die Nachricht geschickt hat, samt Karte
längst zerstört. Ich versuche ihn auf dem Festnetz zu erreichen.« Sie tippte
hastig Rolozkos Privatnummer ein und wartete. Rolozko ging nicht dran. Carla
legte das Telefon auf den Stuhl neben sich, als wollte sie es nicht mehr sehen.
»Wir blasen die Aktion ab«,
entschied Wanninger.
»Was wird aus Ninus? Rolozko ist
gefährlich und momentan gefährlicher denn je. Er muss total unter Druck stehen,
sonst würde er nicht selbst die Dinge in die Hand nehmen. Sein persönliches
Eingreifen kann nur bedeuten: Er will und kann sich auf niemanden verlassen.
Nein, ich muss hin. Nur so kann ich Ninus helfen.«
Wanninger war hin und her
gerissen. Natürlich sorgte er sich um Ninus, aber Carla alleine in die Höhle
des Löwen zu schicken, war zu gefährlich. Er spielte verschiedene Möglichkeiten
durch, doch eine richtig gute Idee hatte er nicht. Das große Aufgebot zu
bestellen, sprich das MEK mit allem, was dazugehörte, war in der kurzen Zeit
nicht mehr möglich und widerstrebte ihm. Was konnte er vorweisen?
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