Sonnenkoenig
Warte, ich frag ihn … Beppo,
würdest du es schaffen, wenn Wolfgang dir entgegenkäme und ihr euch irgendwo
trefft?« Beppo nickte.
Es war abgemacht. Lahm würde
Wanninger die CD übergeben. Beppo hatte kurz überlegt, ob er einen Kollegen
losschicken sollte, sich allerdings dagegen entschieden. Sicher ist sicher.
Bevor er sich auf in den Hunsrück machte, brachte er Carla ins Kommissariat.
Sie sollte in seinem Büro bleiben und sich nicht fortbewegen. Max Graf würde
ein Auge auf sie haben.
Carla war
nervös, unruhig und doch zur Untätigkeit gezwungen. Warten und Nichtstun war
noch nie ihr Ding gewesen. Nur was man selbst erledigt, ist gut erledigt, den
Spruch ihres Vaters hatte sie sich mehr zu Herzen genommen, als sie wahrhaben
wollte. Er implizierte einerseits ein gehöriges Selbstbewusstsein, bedeutete
andererseits einen steten Zweifel an den Fähigkeiten anderer und natürlich ein
grundsätzliches Misstrauen. Sie saß am kleinen runden Besuchertisch, die Beine
übereinandergeschlagen, und wippte mit dem Fuß. Sie sehnte sich danach, die
Kleider vom Leibe reißen und eine heiße Dusche nehmen zu können. Schließlich
hatte sie seit drei Tagen dieselben Klamotten an. Ich stinke wahrscheinlich wie
eine rollige Katze, dachte sie. Die Körperpflege hatte sich auf ein paar
Tropfen kaltes Wasser ins Gesicht und einmaliges Zähneputzen im
Polizeigewahrsam beschränkt. Sie tastete über ihre Wange. Wird besser, wobei
ihr einfiel, dass in Wanningers Wagen Ninus genau auf dieser Seite neben ihr
gesessen hatte. Muss ein toller Anblick gewesen sein. Dieser Mann brachte sie
ganz schön durcheinander. Zum Glück war bisher keine Zeit gewesen, um über ihre
Gefühle nachzudenken. Der Kuss war völlig spontan gewesen. Es war viel mehr als
oberflächliches Interesse, das spürte sie ganz deutlich. Schnell wischte sie
die Gedanken weg. Nicht jetzt. Da fiel ihr das Telefon ein. Sie hatte es bei
Julias Befreiungsaktion abgestellt und seither nicht mehr benutzt. Sie
schaltete es ein. 35 nicht beantwortete Anrufe. Allein ihr Vater hatte
zehn Mal versucht, sie zu erreichen. Also wusste er mittlerweile von Paul. Ob
er über ihren Gefängnisaufenthalt informiert war? In all der Aufregung hatte
sie überhaupt nicht daran gedacht, zu fragen, ob ihr Vater verständigt worden
war. Sie überlegte gerade, ob sie ihn nun anrufen sollte, als der Eingang einer
SMS signalisiert wurde. Sie öffnete sie: ›Wenn du Hagen lebend wiedersehen
willst, gib mir die CD. Heute Abend 18 Uhr. Keine Polizei. Keine Tricks.
Übergabeort folgt‹.
Nein, nein, nein. Hörte das denn
nie auf? Sofort wählte sie Hagens Handynummer: »Die angerufene Nummer ist
momentan nicht erreichbar.«
Über die Auskunft ließ sie sich
mit der Uniklinik in Frankfurt verbinden. Es dauerte eine Weile, bis sie sich
zur entsprechenden Station durchgefragt hatte. Nein, Herr Hagen wäre heute noch
nicht hier gewesen. Über Frau Rotmilch dürfte man am Telefon keine Auskunft
geben.
Andrej Doran hatte Ninus in seiner
Gewalt.
20 Minuten später kam Beppo
zurück. Freudestrahlend wedelte er mit einer durchsichtigen Kunststoffhülle.
»Die Übergabe hat tadellos geklappt. Jetzt wird alles gut. Ich habe noch kurz
mit Wolfgang Lahm gesprochen. Wir haben vereinbart, uns in den nächsten Tagen
zusammenzusetzen, um dieses Wirrwarr aufzudröseln.« Sein Blick fiel auf Carla
und seine gute Laune war wie weggeschnippt. »Was ist los?«
Carla hatte Zeit gehabt,
nachzudenken und sich entschieden, Wanninger ins Vertrauen zu ziehen. Zusammen
heckten sie einen Plan aus, der gefährlich war und wenn er schiefging, wäre das
das Ende seiner Polizistenkarriere. Hagens Leben war ihm jedoch wichtiger.
Carla schreckte aus
ihren Gedanken hoch.
»Hallo, Frau Cosian, hören Sie mir
überhaupt zu?«
Ströcker war wütend und
ungehalten. Wanninger stand auf und bat den Oberstaatsanwalt, mit ihm vor die
Tür zu kommen.
Draußen redete Wanninger mit
gedämpfter Stimme auf ihn ein: »Machen Sie keinen Druck. Ich denke, das Beste
wird sein, ich rede mit Frau Cosian alleine. Ich werde sie überzeugen, das
verspreche ich Ihnen. Sie hat einfach Angst. Sie traut niemandem mehr. Das
dürfen Sie nicht persönlich nehmen. Ich bin mir sicher, Sie bekommen die Daten.
Es ist nur eine Frage der Zeit. Lassen Sie alles weiterlaufen. Entscheiden
müssen letztendlich Sie.«
Dr. Ströcker schaute Wanninger
lange an. Irgendwas stimmte da nicht. Er hatte das Gefühl, der Kommissar
enthielte ihm wichtige
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