Sonnenkoenig
sich zukommen.
Reflexartig riss er die Arme hoch. Gleichzeitig kam ein weiterer Jugendlicher
aus dem Tritt und stolperte zwischen Ninus und Rolozko. Der Junge schrie
markerschütternd auf, als Rolozkos Messer ihm in die Seite fuhr. Die Menschen blieben
stehen, begannen ebenfalls zu schreien. Einige standen wie angewurzelt, andere
rannten panisch davon. Der verletzte junge Mann fiel auf Hagens Rücken und
presste dessen Brustkorb gegen den Steinboden. Ihm blieb die Luft weg. Als er
sich befreit hatte und aufstand, war Rolozko nirgends mehr zu sehen. Carla! Wo
war sie? Seine Augen schwirrten umher. Die Menschtraube, die sich nun um ihn
bildete, wurde stetig größer und versperrte ihm zunehmend die Sicht. Plötzlich
tippte ihm jemand auf die Schulter. Ruckartig drehte er sich um. Carla! Sie
fiel ihm entgegen, er zog sie an sich heran, drückte sie und würde sie nie
wieder loslassen.
II. Wo ist Beppo?
Wanninger konnte sich kaum einen Zentimeter
bewegen in diesem schmalen Kofferraum. Er war enger als der von Carlas Wagen,
in dem er vor nicht mehr als einer halben Stunde gelegen hatte. Lediglich die
Beine ließen sich etwas strecken und wieder anwinkeln. Er lag seitlich
zusammengekauert auf dem einen Arm, der andere befand sich über seinem Kopf.
Als Rolozko ihn gezwungen hatte, in den Kofferraum zu steigen, und die Klappe
zuschlug, hatte Wanninger den Arm schützend hochgehalten. Nun war er in dieser
Position eingeklemmt. Freilich dämpfte er das heftige Anstoßen von Wanningers
Kopf gegen den Kofferraumdeckel, wenn der Wagen durch ein Schlagloch raste, war
aber mittlerweile wie abgestorben, jedes Gefühl daraus entwichen. Neben den
körperlichen Schmerzen quälte ihn sein totales Versagen. Wie Anfänger waren sie
in die Falle getappt. Er hatte damit nicht nur Rolozkos Flucht ermöglicht,
sondern ihm zusätzlich zwei stattliche Geiseln frei Haus geliefert. Wie es
Carla wohl gehen mochte? Sicherlich fuhr sie den Wagen, Rolozko würde neben ihr
sitzen und sie mit dem Messer bedrohen. Er hatte keinen blassen Schimmer, wohin
die Reise ging. Sie hatten einen Fluss überquert. Deutlich hatte er gespürt,
wie der Wagen über eine Brücke oder Ähnliches gefahren war, um anschließend auf
einem Schiff oder einer Fähre anzuhalten. Von der verstrichenen Zeit her müsste
es der Rhein gewesen sein. Ob sie nun bei Mittelheim, Rüdesheim oder Lorch
übergesetzt waren, vermochte er nicht abzuschätzen. Die Aktion war wohl etwas
versaut. Nicht nur die Funkverbindung zu Carla hatte er gekappt und sich von
Rolozko übertölpeln lassen, das Mobiltelefon war ebenfalls weg. Wahrscheinlich
war es ihm in Carlas Kofferraum aus der Tasche gerutscht. Und ausgeschaltet. Er
hatte nicht riskieren wollen, im falschen Moment angeklingelt zu werden. Er
wusste immerhin von der Möglichkeit einer Stumm- und Vibrationsschaltung,
dennoch war dieser technische Firlefanz für ihn nach wie vor ein Buch mit
sieben Siegeln. Sein größter Blödsinn allerdings war die Anweisung an Helfrich,
erst dann den GPS-Sender anzupeilen, wenn er es ihm ausdrücklich sagte. Wie er
den Techniker kannte, hielt der sich hundertprozentig an Wanningers Vorgaben.
Die Schmerzen nahmen unaufhörlich zu. Ihm wurde übel und er war kurz davor, das
Bewusstsein zu verlieren. Mach jetzt nicht schlapp, befahl er sich selbst. Aber
zu den physischen Qualen kam etwas hinzu, was er bisher noch nicht kannte.
Angst und Panik. Sich in diesem engen Raum nicht bewegen zu können, unbeweglich
zu verharren, schlechte Luft zu bekommen und das Absterben aller Glieder löste
Gefühle in ihm aus, die er bisher an sich noch nie vernommen hatte. Jetzt
konnte er gut nachvollziehen, was klaustrophobische Menschen erlitten. Ohne
Sinn und Verstand begann Wanninger, plötzlich zu schreien, drückte mit aller
Gewalt gegen den Kofferraumdeckel. Am ganzen Körper zitternd gab er irgendwann
erschöpft auf und weinte hemmungslos.
Der Wagen wurde langsamer, blieb
stehen. Türen wurden geöffnet, wieder zugeschlagen. Die automatische
Verriegelung schnappte zu. Jetzt holen sie mich hier raus, war das Letzte, was
Wanninger dachte, bevor er das Bewusstsein verlor.
Carla bebte am ganzen
Körper, schluchzte leise vor sich hin. Ihr Gesicht ruhte auf seinen Schultern,
er strich ihr beruhigend über den Kopf, über ihr zerzaustes Haar.
»Wo ist Beppo?«
Ruckartig hob Carla den Kopf. Ihre
Augen flackerten, irritiert schaute sie Ninus an, als wüsste sie nicht, wer er
war, wo sie sich befand. Der
Weitere Kostenlose Bücher