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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Theologe. Dennoch war es
sicher kein Zufall, dass es ihn zum Studium der Sonne hingezogen
hatte. Da mutete es schon seltsam an, dass die Sonne diese seine
Hingabe mit diesem tödlichen Sturm vergalt.
    Und er wurde sich auch des eigenartigen Umstands bewusst, dass
der Name, den Bisesa Dutts Begleiter ihrer Parallelwelt gegeben
hatten – Mir – nicht nur ›Frieden‹ oder
›Welt‹ bedeutete, sondern auch die Wurzel des
Namens Mithras war – denn ›mir‹ bedeutete im
alten Persischen ›Sonne‹…
    Er behielt solche Gedanken jedoch für sich. An diesem
schrecklichen Tag durfte er sich nicht mit Theologie befassen,
sondern er musste sich auf die Bedürfnisse seiner leidenden
Welt konzentrieren, seiner Familie und Freunde – und
Eugenes.
    Eugenes großer, im Hochschulsport gestählter
Körper war einfach zu kräftig für die schwache
Schwerkraft des Mondes; schon beim nächsten Schritt
stieß er sich vom polierten Boden ab. Nervös studierte
er die auf den Softscreens gezeigten Grafiken, die die
Übereinstimmung des tatsächlichen Verhaltens der Sonne
mit Eugenes Vorhersagen bestätigten. »Fast alles ist
noch im grünen Bereich«, sagte er.
    »Nur die Gammas gehen hoch«, murmelte Michail.
    »Ja. Aber nur die. In die Störungsanalyse muss sich
irgendwo ein Fehler eingeschlichen haben. Ich wünschte, dass
ich die Zeit hätte, sie nochmal durchzugehen…«
Er lamentierte über das Problem und sagte etwas von
Ableitungen höherer Ordnung und asymptotischer
Konvergenz.
    Wie die meisten konkreten mathematischen Anwendungen glich
Eugenes Modell der Sonne einer mathematischen Gleichung, die zu
komplex war, um sie zu lösen. Deshalb hatte Eugene
Näherungstechniken angewandt, um nützliche Information
aus ihr herauszuquetschen. Man nahm einen Term, den man verstand
und versuchte, von diesem Punkt aus Schritt für Schritt
einen Lösungsraum zu entwickeln. Oder man versuchte, die
Extremwerte einzelner Teile des Modells zu ermitteln, wo sie
entweder auf Null schrumpften oder zu einem Grenzwert
konvergierten.
    All das waren Standardtechniken, und sie hatten auch
nützliche und genaue Vorhersagen für die Art und Weise
ermöglicht, wie die Sonne sich heute verhalten würde.
Aber es waren eben nur Näherungen. Und die langsame, aber
stetige Abweichung des Gammastrahlen- und
Röntgenstrahlen-Flusses von der prognostizierten Kurve war
ein Indiz, dass Eugene einen Effekt höherer Ordnung nicht
berücksichtigt hatte.
    Wenn Michail als Eugenes Kollege seine Arbeit
überprüft hätte, wäre der Junge sicher nicht
kritisiert worden. Es war schließlich nur ein marginaler
Fehler – etwas, das er bei den Nebeneffekten übersehen
hatte. Darüber hinaus war eine Abweichung der Fakten von den
Prognosen auch ein notwendiger Teil des Feed-Back-Prozesses, der
das ganze wissenschaftliche Verständnis verbesserte.
    Nur dass es sich hierbei nicht um eine wissenschaftliche
Studie handelte. Entscheidungen über Leben und Tod waren
aufgrund der Vorhersagen von Eugene getroffen worden, und schon
der kleinste Fehler, der ihm unterlaufen war, konnte verheerend
sein.
    Michail seufzte schwer. »Es würde uns niemals
gelingen, alle zu retten – so sehr wir uns auch
bemühen. Das war uns von vornherein klar.«
    »Natürlich verstehe ich das«, sagte Eugene
mit einem plötzlichen erschreckenden Knurren. »Halten
Sie mich etwa für eine Art Soziopath? Sie sind so verdammt
selbstgerecht, Michail.«
    Michail schreckte betroffen zurück. »Es tut mir
Leid.«
    »Ich habe auch eine Familie da unten.« Eugene warf
einen flüchtigen Blick auf die Erde. Amerika drehte sich
gerade in den Sturm hinein und wurde von einer schrecklichen
Morgendämmerung geweckt; Eugenes Familie würde die
volle Wucht des Sturms zu spüren bekommen. »Alles, was
ich je für sie zu tun vermochte, ist die Wissenschaft. Und
nicht einmal das habe ich richtig gemacht.«
    Er stapfte unablässig im Raum umher.

 
    10:57 (Londoner Zeit)
     
    Ein-Auge war frustriert und verwirrt.
    Wuschel hatte sich ihm erneut widersetzt. Als er den
Feigenbaum mit seiner üppigen Last an Früchten gefunden
hatte, hatte das jüngere Männchen es unterlassen, den
Rest der Rotte herbeizurufen. Und als er dann zur Rechenschaft
gezogen wurde, hatte Wuschel sich geweigert, sich der
Autorität von Ein-Auge zu beugen. Er hatte sich
ungerührt noch mehr der köstlichen Früchte in den
wulstlippigen Mund gestopft, während der Rest der Rotte

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