Sonntag bis Mittwoch
angenommen hatte. Gehörte dies also auch zu der Intrige? Mir Unzurechnungsfähigkeit vorzuspiegeln, wie er es getan hatte – nachdem er zugegebenermaßen einer Gefängnisstrafe durch Einweisung in eine Nervenheilanstalt entgangen war? Führte er mich, verschlagen und in richtiger Einschätzung meiner Mentalität, aus Spaß in eine Sackgasse, ließ mich bewußt in dem Glauben, er könne möglicherweise in den Wahnsinn getrieben werden, nur um sich vor Lachen zu biegen, über meinen Geisteszustand – nicht den seinen, meinen!
Ich wußte, daß ich mir nicht erlauben durfte, an meinem eigenen Verstand zu zweifeln, und trotzdem mußte ich hilflos mit ansehen, wie sich das vorbereitete.
Ich konnte in der Wohnung anrufen. Wie gestern. Nichts sagen. Zuhören, wie sich seine Wut in Angst verwandelte. Sollten seine Nerven aufgerieben werden. Ich konnte ihn weiter in die Enge treiben, in eine Richtung, von der ich nicht einmal wußte, ob er sie einschlug!
Statt nach dem Telephon zu greifen, holte ich mir den gelben Block heran. Wie konnte ich sichergehen? Wie, wenn ich mir auch nur die kleinste Chance entgehen ließ und mich schließlich vor einer selbst gegrabenen Grube fand? Ich schaute mir die hingekritzelten Notizen auf dem Block an und versuchte, mich auf die Einzelheiten der Sache Markham zu konzentrieren. Die Schriftzüge verschwammen mir vor den Augen.
Zwecklos: Ich konnte meine eigene Schrift nicht mehr lesen. Es mußte aber sein. Ich schaltete das Diktaphon ein, doch das Summen der Maschine dröhnte mir unerträglich in den Ohren.
Ich knipste das Gerät aus. Das Dröhnen jedoch blieb.
Zum Teufel mit der Sache Markham. Im allgemeinen … womit beschäftigte ich mich normalerweise als erstes im Büro? Mit der Post, selbstverständlich. Phoebe hatte die meisten Briefe geöffnet und sie ordentlich zu zwei Stapeln geschichtet. Zuoberst lag ein zierlicher, grauer Umschlag, geschlossen, mit dem Aufdruck ›Luftpost‹ und in Druckschrift ›Persönlich‹ quer über eine Ecke.
Mein Herz stockte, und das Dröhnen klang hohl. Lydia schickte Briefe nie in mein Büro.
Ich riß den Umschlag auf, dachte an die sinnlose Lüge gestern: daß mir Lydia an das Büro geschrieben habe, sie käme heim. Welch grausame Ironie, wenn diese Lüge plötzlich wahr wurde! Das Papier in meiner Hand zitterte so sehr, daß ich die beiden dünnen Bogen auf der Schreibtischplatte ausbreiten mußte, um die Worte entziffern zu können.
Ich überflog die erste Seite, ließ meine Blicke über Lydias gestochene, schräge Handschrift gleiten: … viel besser, was ihre Gesundheit betrifft … bezweifle zu meinem Kummer, daß sich viel ändern wird … arme, alte Frau, meint ehrlich, sie könnte mich für immer dabehalten … nicht, daß ihr so viel an meiner Gesellschaft liegt … versuchte es ein paarmal mit Theaterbesuchen … weiß, daß absurd beim Theater nicht mehr lächerlich bedeutet … alles so dumme, wertlose Geschöpfe nach heutiger Ansicht … eine gewisse Langeweile –
Nichts Wichtiges. Gottlob. Nichts von Bedeutung. Wenn sie käme, hätte sie mit dieser Nachricht begonnen.
Ich liebe dich, Lydia. Vergib mir. Kannst du mir jemals verzeihen? Nein. Niemals.
Ich holte tief Atem und las weiter, bedächtiger und mit einer gewissen Erleichterung: Das Wetter war schwül, aber London birgt für mich natürlich viele wehmütige Erinnerungen, ich verbrachte aufregende Stunden in der Tate und der National Gallery und machte sogar einmal über Nacht einen Abstecher nach Stratford –
Mit wem? Ich kam von dem bohrenden Gedanken nicht los. Mit wem, Lydia? Warum schreibst du es nicht? Was meinste, was sie da drüben tut? Ich kenne den Typ.
Reue überrollte mich gleich einer Welle. Eine Sekunde lang verdunkelte sich das Zimmer um mich. Wie konnte ich an Lydia zweifeln? In mir gähnte die Leere. O Gott, hatten sie mich schon so weit gebracht? Zu mißtrauen, an Lydia zu zweifeln? Mir ekelte vor mir selbst.
Ärgerlich – über sie, über mich – wandte ich mich dem zweiten Blatt zu. Ich weiß, es wird Dich überraschen, diesen Brief im Büro zu erhalten. Ehrlich gesagt hege ich den Verdacht, daß Minnie, so zuverlässig sie sonst ist, unsere Post liest, und da Du immer so nachlässig mit Briefen umgehst –
Ich versteifte mich. Wieso kam es darauf an, ob Minnie –
Ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll, Liebling. Du magst bei meiner Abreise gespürt haben, daß ich Dich mit etwas gemischten Gefühlen
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