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Sonst kommt dich der Jäger holen

Sonst kommt dich der Jäger holen

Titel: Sonst kommt dich der Jäger holen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michaela Seul
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die Augen, Lena; geh weiter, Korbinian, nicht am Schwanz ziehen. Korbinian!
    Die Kinder im Vorschulalter blieben abwartend innerhalb des niedrigen Zauns. An vielen Stellen war der Bau unterbrochen worden, und die Höhe des Zauns bedeutete für Flipper gerade mal einen Hoppser.
    »Hallo«, winkte ich freundlich, und Flipper wedelte verhalten, längst nicht so begeistert, wie er war. Kinder! So viele! Leider zu klein, um richtig wild zu spielen, aber vielleicht fand er doch einen Spielkameraden? Was das betraf, gab Flipper die Hoffnung nie auf, und tatsächlich: Ein Junge stürmte nach vorn.
    »Stehen bleiben, Fritz!«
    Fritz hörte nicht. Logisch. Er war ein Waldkindergartenkind. Er lernte hier Selbstständigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortung. Abrichten und Dressur gehörten nicht zu seinem Ausbildungsprogramm. Aber zu Flippers.
    »Urlaub«, sagte ich leise. Flipper warf sich auf den Rücken, streckte alle viere von sich und seinen Bauch der Sonne entgegen.
    »Der Hund ist tot! Tot!«, schrie ein Kind.
    »Nein, der spielt bloß!«, tauchte die Erziehungsberechtigte auf, ein junges Gemüse in einem mit Farbklecksen verzierten oder verunzierten blauen Overall, mit einem Bubikopf und einer ganzen Milchstraße Sommersprossen.
    Flipper lag regungslos auf dem Rücken.
    »Sitz!«, befahl Fritz.
    Nichts geschah, natürlich nicht, Fritz konnte keine Befugnis vorweisen, und was das betraf, nahm Flipper es sehr genau. Nur ich war ermächtigt, einen ausgesprochenen Befehl aufzulösen. Das klappte nicht immer, aber meistens.
    »Sitz!«, rief Fritz lauter.
    »Der hört nicht auf dich, der hört nur auf sein Frauchen«, erklärte ihm die Erzieherin und kam näher, hinter ihr das Dutzend Kinder.
    »Aber ich hab schon oft Sitz gesagt, und andere Hunde haben das dann gemacht«, widersprach Fritz und setzte zu einem dritten Versuch an, der Tote hätten wecken können. Flipper nicht.
    »Sitz«, sagte ich leise.
    »Jetzt hat er gefolgt!«, stellte Fritz mit Beifall heischendem Blick in die Runde fest.
    Die Erzieherin begrüßte mich mit einem »Hallo«, was wahrscheinlich bedeutete, dass ich eintreten durfte, als in ihrem Rücken ein Heulen losbrach.
    »O je, die Sandrine!«
    »Die hat total Angst vor Hunden«, erklärte Fritz mir, während er Flipper streichelte und die Erzieherin sich um das kleine Mädchen kümmerte.
    Drei Kinder kamen näher.
    »Darf ich den mal streicheln?«, fragte eine blonde Prinzessin mit großen blauen Augen, bei deren Anblick mir sofort Sinah einfiel.
    »Ja.«
    »Man muss vorher immer fragen, ob man streicheln darf«, fügte sie hinzu als brauche sie eine zweite Erlaubnis, um sich wirklich zu trauen.
    »Ja, das stimmt, das machst du prima«, lobte ich, und da begann sie hektisch Flippers Kopf zu tätscheln als wäre er eine warme Herdplatte, an der sie eine Mutprobe bestehen wollte.
    »Die Sandrine ist nämlich mal gebissen worden«, erklärte mir ein Junge, der, ohne vorher zu fragen, Flippers Rücken klopfte.
    »Man muss immer erst fragen«, wies das Mädchen ihn zurecht, »das hat die Frau auch gesagt, gell.« Sie suchte meinen Blick.
    »Ja.«
    »Die Sandrine ist in den Hals gebissen worden«, erläuterte Fritz und probierte aus, wie lang man die Ohren von Flipper ziehen konnte.
    »Das hat ganz schlimm geblutet«, erklärte ein anderes Zwergerl.
    »Alles war rot!«, wusste Fritz zu berichten. »Wie beim Metzger.«
    »Igitt!«, rief eine Mädchenstimme. Und eine andere kicherte. »Beim Metzger gibt es doch kein Blut!«
    »Blutwurst, Leberwurst, ich hab Durst!«, sang eine Kleine mit zwei hoch angesetzten Zöpfen.
    »Sucht mir der einen Stock, wenn ich den schmeiße?«, wollte Fritz wissen und ließ das Flipperohr los. Mein sensibler Held atmete tief durch. Ich auch.
    »Der holt dir sogar einen.«
    »Und wie geht das?«
    »Flipper, bring ’nen Stock«, schickte ich ihn los, und das ließ er sich nicht zweimal sagen. Ein Aufschrei ging durch den Waldkindergarten, als der schwarze Riese auf der Suche nach einem geeigneten Prügel herumstöberte, nein, ich hatte ihn unterschätzt. Er brachte ein kleines Stöckchen, das zu dem kleinen Fritz passte, und legte es ihm vor die Füße. Mein Herz pumpte Stolz und Rührung. Das war Flipper. Mein Flipper. Nie im Leben hätte er mir so einen Winzstock gebracht. Bei einem größeren Kind oder einem, das er kannte, hätte er sich den Stock aus dem Maul nehmen lassen, vielleicht sogar ein kleines Kräftemessen initiiert. Bei Erstkontakt und kleinerem Kind

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