Sophie Scholl
mit 262 zu 75 Stimmen verabschiedet und trat am 11. August 1919 in Kraft. »Das Deutsche Reich ist eine Republik«, hieß der strahlende Satz zum Auftakt, und die Fahne der Republik war Schwarz-Rot-Gold. Damit stellte sie sich in die Tradition der demokratischen Revolutionäre von 1848, die unter diesen Farben gegen die Willkürherrschaft von Königen und Fürsten auf die Barrikaden gegangen waren. Im Sommer 1920 wählten erstmals in der deutschen Geschichte Männer und Frauen gleichberechtigt ein deutsches Parlament, und eine Regierung bildet sich, die nicht von Kaisers Gnaden abhängig war. Mehr als ein Anlass, stolz zu sein. Das Erbe allerdings, mit dem die demokratischen Politiker fertig werden mussten, war bleischwer.
Am 28. Juni 1919 hatte eine Abordnung der Weimarer Nationalversammlung im Spiegelsaal von Versailles einen Friedensvertrag unterzeichnet, der Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg besiegelte. Es war der gleiche Saal, wo 1871 die deutschen Fürsten – den damals besiegten Franzosen zum Hohn – das Deutsche Kaiserreich ausgerufen hatten. Der Vertrag von Versailles bedrückte die besiegten Deutschen mit Reparationszahlungen ohne Ende; sein Votum von Deutschlands »Alleinschuld« am Ersten Weltkrieg ist ungerecht. Aber es gab keine Handlungsalternative für die junge Demokratie. Die Verantwortung für die Niederlage trotz aller Bedenken und berechtigten Einwände auf sich zu nehmen und auf zukünftige Verhandlungen zu setzen, war eine patriotische Tat. Doch die radikalen politischen Kräfte in Deutschland, vor allem auf der rechten Seite des Parteienspektrums, hetzten nur verstärkt gegen die »Novemberverbrecher« als »Erfüllungspolitiker«, die nun auch für den »Schandvertrag« verantwortlich seien.
Robert Scholl wird die oftmals verworrene, widersprüchliche Entwicklung im Frieden nicht weniger interessiert verfolgt haben als im Krieg. Seine Arbeit als Ortsvorsteher bestand weiterhin darin, den Mangel gerecht zu verwalten. Er muss die Schwierigkeiten gut gemeistert haben, und es sprach sich herum. Im Herbst 1919 überzeugte der Lehrer Ernst Bohnet, Sozialdemokrat und Vorsitzender des Arbeiter- und Bauernrats von Forchtenberg, Robert Scholl, in dem mittelalterlichen Städtchen am Kocher bei der Wahl für den Posten des Ortsvorstehers anzutreten.
Im November 1918 hatten sich überall im Land Räte gebildet, um Gemeinden und Städte beim revolutionären Übergang von der Monarchie zur Republik demokratisch zu verwalten. Die meisten waren keineswegs Horte von Radikalität und Anarchie und wurden im Laufe des Jahres 1919 von ordentlich gewählten Organen abgelöst. In Forchtenberg hatte es der Arbeiter- und Bauernrat zum 1. Oktober endlich geschafft, dass der bisherige Ortsvorsteher, dessen »Verfehlungen schwerster Art« im Amt aktenkundig waren, seinen Posten räumte. Die Neuwahl des Schultheißen – so die traditionelle Bezeichnung – wurde auf den 19. Oktober 1919 festgesetzt.
Vier Kandidaten stellten sich zur Wahl. Der Sozialdemokrat Ernst Bohnert warb für seinen Kandidaten, den parteilosen Robert Scholl. Die Auszählung am Wahlabend ergab von 295 gültigen Stimmen 85 für Robert Scholl; für seine Gegner je 78, 75 und 57 Stimmen. Das war eine knappe relative Mehrheit für den Sieger, aber dem Wahlrecht war damit Genüge getan. Für Familie Scholl mit den beiden Kindern Inge und Hans würde ein neuer Abschnitt beginnen, auch wenn der Umzug nicht ins Unbekannte führte. Lina Scholls Vorfahren väterlicherseits hatten durch Generationen als angesehene Handwerker in Forchtenberg gelebt; immer noch gab es dort Verwandtschaft. Im Dezember 1919 verließen die Scholls Ingersheim. Die Amtswohnung im Forchtenberger Rathaus, direkt an der Hauptstraße gelegen, wurde zum neuen Heim.
Als Robert Scholl im März 1920 offiziell als Ortsvorsteher von Ingersheim verabschiedet wurde, bekam der knapp Achtundzwanzigjährige ein glänzendes Zeugnis ausgestellt: Er habe sein Amt mit großer Sachkenntnis, mit Fleiß und Tatkraft zur vollen Zufriedenheit ausgefüllt. Besonders hervorgehoben wurden sein freundliches Wesen und der solide Charakter. Er sei eingetreten für gesunden Fortschritt und soziale Fürsorge, immer bemüht, dem Interesse der Gemeinde und dem Wohl der Einwohnerschaft zu dienen. Kurzum: Robert Scholl habe sich in Ingersheim allgemeiner Beliebtheit erfreut.
Dem so Gelobten wird dieses Zeugnis wie Balsam gewesen sein. Denn als er zeitgleich offiziell in sein neues Amt als Schultheiß
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