Sophie Scholl
sie sich mit ihren Puppen oder spielte draußen auf den Stufen zur kleinen Rathaustür. Sie ging gern in die Kleinkinderschule und ab Frühjahr 1928 in die dreiklassige Volksschule; je zwei Klassen waren zur Unter-, Mittel- und Oberklasse zusammengefasst. Aus der Forchtenberger Schulzeit – 1928 bis Mai 1930 – haben zwei Sophie-Anekdoten in der Scholl-Familie überdauert.
In der ersten Klasse saß Sophie Scholl mit ihrer ein Jahr älteren Schwester Liesl im gleichen Klassenzimmer, der »Unterklasse«. Je nach Tagesform mussten die Kinder ihre Plätze wechseln; von den guten – vorne – zu den schlechten – hinten. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag wurde Liesl auf einen hinteren Platz verwiesen. Daraufhin meldete sich Sophie beim Lehrer, das dürfe er ihrer Schwester an ihrem Geburtstag nicht antun. Die Intervention hatte Erfolg. Die andere Erinnerung überliefert einen Ausspruch, mit dem Sophie Scholl sich selbst charakterisiert: »Die Brävste bin ich nicht, die Schönste will ich gar nicht sein, aber die Gescheiteste bin ich immer noch.« Ziemlich keck und gekonnt formuliert für ein noch nicht 10jähriges Kind, das als still und schüchtern gilt. Aber Familien-Anekdoten haben ihre eigene Wahrheit.
Auch ein Sinn für Komik ist manchem in Forchtenberg bei Sophie aufgefallen, vielleicht ein Familienerbe der geliebten Großmutter Sophie Müller in Künzelsau. Und weil es manchmal sinnvoll ist, in diesem kurzen Leben die Zukunft in die Gegenwart zu holen oder aus der Vergangenheit Fäden in die Zukunft zu knüpfen: Wer die erwachsene Sophie Scholl in einem geselligen Kreis erlebte, hat sie als schweigsam, als zurückhaltend geschildert, an Diskussionen beteiligte sie sich kaum. Aber inmitten von Freunden und Freundinnen, Menschen, die ihr vertraut waren, ist ihr Witz, ihre untergründige Ironie und ihre Lust auf Schabernack in Erinnerung geblieben.
Enge Freundschaften hat Sophie Scholl in den neun Jahren, die sie in Forchtenberg verbrachte, nicht gefunden. Dafür entstand eine Kinderfreundschaft, die lebenslang Bestand hatte, obwohl sie immer nur auf die Ferne gründete. Tante Elise, geborene Müller, verheiratete Leber, die ältere Schwester von Sophies Mutter, führte mit ihrem Mann in Backnang ein Delikatessengeschäft. Die Schwestern besuchten sich regelmäßig, Sophie war gerne bei der Tante. Nicht zuletzt, weil im gleichen Haus bei Familie Remppis am 7. Juni 1923 eine Tochter – Lisa – geboren wurde. Der Altersunterschied störte die beiden kleinen Mädchen nicht. Sie waren unzertrennlich, sobald Sophie in Backnang war. Als Familie Remppis 1928 nach Langenburg an der Jagst zog, wohin der Vater sein Notariatsbüro verlegte, ließ Sophies Besuch nicht lange auf sich warten. Wir werden Lisa Remppis und den Zeugnissen dieser Freundschaft noch viele Male begegnen. Sie war und blieb über all die Jahre Sophie Scholls beste Freundin. »Fast müsste ich mich schämen über diesen Brief, doch warum sollst Du nicht wissen, wie es um mich steht«, schreibt Sophie Scholl am 2. Februar 1943 an Lisa Remppis, »ich schreibe dies ja auch nur Dir …«.
Dass Menschen von einem Tag auf den andern so stumm und unansprechbar wie Puppen werden; dass man sie in einer hölzernen Kiste aus dem Haus trägt und sie nie mehr wiederkehren, hat Sophie mit knapp fünf Jahren an ihrer kleinen Schwester Thilde erlebt. Es wäre seltsam, hätte diese Erfahrung keine Ängste bei ihr ausgelöst. Denn schon von den Mäusen zu wissen, die im Rathaus-Keller in die tödlichen Fallen liefen, rührte Sophie Scholl zu Tränen. »Ich erinnere mich«, schreibt sie im Juni 1942, »dass es mir als Kind ein unlösbares und furchtbar trauriges Problem erschien, zu leben, ohne dabei andere zu vernichten. Es erscheint mir jetzt noch genau so unlösbar, nur habe ich es vergessen.« Aus der Todeserfahrung wächst die Entschiedenheit, sich fest an die Menschen zu halten, die man liebt.
Sophie Scholl war sechs Jahre alt, da schwamm sie quer durch den Kocher. Inge hatte ihr das Schwimmen beigebracht. Kein Problem, denn Sophie fühlte sich wohl im Wasser, im Strom, und das würde bleiben. Ansonsten war sie kein robustes Kind, das allen Wettern trotzte. Schnell kam ein Fieber, oft kränkelte sie. Die Mutter fand es nur natürlich, dass ihre jüngste Tochter eine Woche zu Hause blieb und verwöhnt wurde, statt in die Kinderschule oder später in die Volksschule zu gehen. »Ich danke Dir liebe Lina für die gute Nachricht, dass es Sofiele wieder besser geht.
Weitere Kostenlose Bücher