Sophie und der feurige Sizilianer
warf Sophie ihm, obwohl sie ihn noch vor einer Sekunde eine Million Meilen von hier weggewünscht hatte, einen überraschten Seitenblick zu. „Gute Idee.“
Sie stieg aus, hielt ihr Gesicht einen Moment der Sonne entgegen und sog ganz tief den würzigen Pinienduft ein, der zu ihr herüberwehte. Dann wandte sie sich dem Palazzo zu und war einmal mehr von seiner Majestät und harmonischen Schönheit beeindruckt.
„Wie viele Räume gibt es?“, fragte sie, als Marco sich neben sie stellte.
„Keine Ahnung, ich habe sie nie gezählt. Ah, da sind sie ja!“
Erst jetzt schaute Sophie zur Seite und sah, wie Marco ein älteres Paar begrüßte, das sich unbemerkt zu ihnen gesellt hatte. Dem Mann schüttelte er herzlich die schwielige Hand, die rundliche Frau verschwand fast in seiner Umarmung. Die Sympathie zwischen den drei Menschen war nicht zu verkennen.
„Das sind Alberto und Natalia.“ Marcos Lächeln war warm und ohne eine Spur von dem gewohnten Sarkasmus. „Sie können die beiden immer ansprechen, wenn Sie etwas brauchen oder wissen wollen. Das ist Miss Balfour.“
„Sophie“, korrigierte sie ihn und lächelte dem Ehepaar zu.
„Gut, wir sehen uns später“, entschied Marco. „Dann können Sie mir erzählen, wie Sie gedenken, unseren alten Palazzo wieder ins Leben zurückzubringen.“
Angesichts der negativen, in ihren Augen absolut unpassenden Wortwahl krauste sie die Nase. „Auf mich wirkt er keineswegs leblos.“
„Das Äußere kann täuschen“, erwiderte Marco gepresst. „Es kommt auf das Herz an.“ Dabei schlug er sich mit der Hand auf die Brust. „Und das ist tot.“
Noch als Marco längst gegangen war, spürte Sophie die Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper. Und während sie kurz darauf staunend durch die schier endlosen Gänge des Palazzo schlenderte, dachte sie immer wieder an seinen Satz zurück.
Marco Speranza, mit dieser beunruhigenden Mischung aus sizilianischem Stolz und einer spürbaren, aber tief verborgen sitzenden Leidenschaft, war ein Mann, den man schwer einordnen konnte. Ein gefährlicher Mann! wie Sophie nicht zum ersten Mal für sich feststellte.
Nachdem sie einige Räume inspiziert hatte, konnte sie sich nicht des Eindrucks erwehren, durch ein Museum zu wandern. Überall gab es nahezu atemberaubende Details zu bestaunen, dennoch wirkte alles steif und leblos – wie Marco es prophezeit hatte. Von einem Heim war nichts zu spüren.
„Ein größerer Sturm, und die ganze Decke wird herunterkommen“, stellte sie in einem der zahlreichen Salons mehr für sich fest.
„Das war nicht immer so“, erklärte Natalia, die sie begleitete und zum Glück Englisch sprach, wenn auch mit starkem Akzent. „Aber seit der Scheidung hat er es einfach nicht übers Herz gebracht hierherzukommen. Sie war schlecht, die Frau, die er geheiratet hat!“
Die rundliche Haushälterin spie die Worte förmlich aus, und ihre düstere Miene sprach für sich. „Es gab andere Männer! Viele Männer und reichlich Alkohol, doch der Marchese ließ sie einfach gewähren.“
„Marchese?“ , fragte Sophie überrascht.
Natalia nickte. „Leider ist er der einzige Erbe, es gibt keine Geschwister … und keine eigenen Kinder. Das ist traurig, dieser Platz braucht Lachen und Leben. Sind Sie vielleicht …“
Bei Natalias hoffnungsvollem Blick schüttelte Sophie hastig den Kopf. „Du liebe Güte, nein! Ich bin nur hier, um das Innere des Palazzos umzugestalten.“
„Und Sie mögen keine Kinder?“
„Ich liebe Kinder, aber … nicht hier … nicht seine !“, stammelte Sophie errötend.
Wie sollte sie der netten Haushälterin nur erklären, dass der Mann, den sie so offensichtlich anbetete, sich niemals mit einer Frau wie ihr einlassen würde? Stattdessen wies Sophie auf ein Gemälde hinter Natalias Kopf und überlegte laut, ob es sich dabei möglicherweise um einen Tizian handeln könnte.
Als sie etwas später allein durch die unteren Räume streifte, ließ sie das Gespräch noch einmal Revue passieren. Schwer vorstellbar, ausgerechnet Marco Speranza in der Rolle des gehörnten Ehemanns zu sehen! dachte Sophie.
Die einzig zulässige Erklärung konnte nur lauten: Marco Speranza war derart besessen von seiner Frau gewesen, dass er ihr nahezu alles verziehen hatte. Bis sie zu weit gegangen war.
Nachdem Marco etliche Stunden zusammen mit seinem Verwalter Juan auf dem Pferderücken verbracht hatte, war er der Überzeugung, dass es keine bessere Art gab, die teilweise recht unzugänglichen Ecken des
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