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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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Einverständnisses vor seiner Prüfung.
    Eine Thermoskanne steckte hinten im Schlitten. Louis vermutete, dass sie mit heißem Kaffee gefüllt war. Ihn zu trinken im Schatten eines Felsens, an nichts denkend, gemeinsam und allein inmitten des Schnees, unter der gleichen Decke geborgen, umgeben von einer Stille, die wie die Musik dieser Weiße wäre, das wäre kein Verbrechengewesen. Er hätte vielleicht sogar, wer weiß?, Maurices Hand nehmen können …
    Als würde sein Wunsch erhört, hielt der Junge das Gespann auf einer Lichtung an. Er stapfte bis zum Waldessaum. Er spreizte die Beine.
    »Drehen Sie sich um!«, warf er ihm über die Schulter zu.
    Louis errötete. Er hörte das Trommeln der heißen Flüssigkeit, die die vereiste Kruste durchlöcherte.
    Ein zweiter Knall ließ die Wipfel der Bäume erzittern, und neuerlich gingen schwere Schneetaschen nieder. Louis drehte sich in die Richtung des Jungen. Eine gelbliche Spur im Schnee, noch dampfend, aber Maurice war verschwunden. Bapaume erhob sich und schaute sich um. Er wollte rufen, aber der Name Maurice blieb ihm im Halse stecken, er fühlte sich außerstande, ihn zu schreien .
    Das Gespann stob ganz von allein wieder los, und Louis kippte beinahe aus dem Schlitten. Seine Hand tastete nach der Bremse. Mitten auf dem Pfad sah er den jungen von Croft, der mit einem kühnen Satz in voller Fahrt auf die Kufen des Schlittens sprang.
    »Das war ein Schreck«, sagte Bapaume, die Hand auf dem Herzen.
    Der Junge antwortete nicht.
    Der Weg führte aus dem Wald hinaus, und Louis sah im Schatten des Berges das Stift Saint-Aldor-de-la-Crucifixion auftauchen.
    Dorthin war er, nach seiner Rückkehr aus Europa, nach zwei Jahren intensiver, besessener Studien, gekommen, um zu wirken, beseelt vom lebhaftesten Gefühl eines Auf trages, der zu erfüllen wäre. Dieses Waisenhaus,das abgeschieden tief in den Wäldern lag, hatte ihn, da es ihm die Bedürftigsten der Welt zu beherbergen schien, angezogen wie ein gelobtes Land. Während seiner elenden zwei undzwanzig Monate in Paris, gepeinigt von den Ansprüchen seiner Professoren und den ständigen Geldsorgen, hatte er trotz allem einen Weg gefunden, sich den Schädel mit Widersinnigkeiten jeder Art vollzustopfen, ein dichtes Gewirr aus Leibesertüchtigung, Homöopathie, Vege tarismus, nudistischer Hygiene, den Religionen des Fernen Ostens; er hatte sogar Umgang mit einigen jungen Aufrührern gehabt, die um die Surrealisten kreisten. Und des Nachts, mit glühender Hirnhaut, arbeitete er am Konzept einer »natürlichen« Methode des Erlernens von Musik.
    Die er mit in die Heimat gebracht hatte und darauf brannte, einer Probe zu unterziehen, im Übrigen davon überzeugt, dass sie sich in der Praxis bewähren würde. Damals schien es ihm allen Ernstes, dass er jedem, sei es ein noch so unmusikalischer Bauerntölpel, die Geheimnisse des tonalen Systems, die Schlüssel der Harmonik, sogar der Atonalität würde beibringen können, deren Entdeckung ihn während seines Aufenthaltes in Europa wie eine Offenbarung überwältigt hatte. Françoise hätte es mannigfach hören müssen: Wäre diese Unternehmung ihm gelungen, so wäre er ein anderer Mensch geworden.
    Ein Heiliger, vielleicht. Die dafür erforderlichen Anlagen hätte er besessen, da er keinen Deut Selbstachtung hatte und stets über das reine Gewissen verfügt hatte, maßlosen Stolz in seinem Herzen verschlossen zu halten. Doch kippten die Dinge im Handumdrehen in die Katastrophe – und er hatte Saint-Aldor nach einem Jahr verlassen, verunglimpft, verflucht, gehasst , erniedrigt unter einem Schauer von Schneebällen (einige seiner Kollegen hatten sogar an dieser grotesken Steinigung teilgenommen). Jahrelang genügte es, den Namen des Ortes auszusprechen, um ihn aus dem Zimmer zu jagen; es durchlief ihn heiß zwischen Haut und Fleisch, er verspürte jene Mischung aus unerträglicher Beklemmung und Scham, jene kopflose Angst vor sich selbst nach einer durchzechten Nacht, wenn einem zu Bewusstsein kommt, welchen Barden man da wieder gegeben hat.
    Als seine Entscheidung feststand, nach zwanzig Jahren wieder zurück in dieses Dorf zu kommen, stellte er voller Überraschung – und auch mit ein wenig Erleichterung, die er sich nicht verzieh – fest, dass die Gebäude nun von den Brüdern von der Christlichen Erziehung bewohnt wur den. Das Waisenhaus gab es nicht mehr.
    Sie umfuhren den schroffen Hang des Berges Saint-Aldor. Die Hunde liefen jetzt, außer Atem, im Passgang. Der Wind

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