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Soucy, Gaetan

Soucy, Gaetan

Titel: Soucy, Gaetan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trilogie der Vergebung 02 - Die Vergebung
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wieder die Augen. Der gute kleine Montagnais war nicht mehr da.
    Und Louis stieß einen Schreckensschrei aus. Plötzlich, ganz nah an seinem Gesicht, das Grauenhafteste, das er in seinem Leben gesehen hatte. Eine Art fürchterlicher Auswuchs, mit Zähnen überall, und ein hervorstechender Blick. Verschreckt durch seinen Schrei, verschwand das Ding durch den Graben. Er sah, wie eine schwarze, flache Form kriechend verschwand. Er wusste nicht, was es sein mochte. Er erhob sich, am ganzen Leibe zitternd, klopfte Schnee und Dreck von den Kleidern. Er machte behutsam einige Schritte, fürchtete, erneut auf diese Abscheulichkeit zu stoßen, er durchschritt eine Wand von Nadelbäumen. Und schließlich erschien das Dorf zu seinen Füßen, funkelnd wie ein Königreich.
    Die Einwohner hatten sich um die Kirche versammelt. Die scharfe Kälte machte das Licht ihrer Fackeln reiner, es war wie eine geronnene Glut in der Gebirgsmulde. Siewarteten auf dem Kirchenvorplatz, dem Portal zugewandt. Bapaume konnte nicht sehen, was sie betrachteten. Aber der Schwere ihres Schweigens nach hätte man vermutet, ein Engel mit gebrochenen Flügeln sei just an diesem Ort auf die Erde gefallen. Louis hätte bis zum nächsten Morgen stehen und dieses schöne Bild betrachten mögen. Die Neugierde war stärker. Er hastete den sanften Hang hinunter bis zum Friedhof, der hinter dem Kirchhof lag.
    Die Menge hatte sich in kleine Gruppen aufgeteilt, von denen nur kurzes Wispern zu hören war. Sie warteten, Louis wusste nicht, worauf. Dann und wann näherten sich Einzelne der Kirche, wagten sich kaum gerade über die Schwelle. Kehrten dann wieder zu ihren Gruppen zurück, machten eine schnelle Bemerkung, mit gedämpfter Stimme, und wieder schwiegen alle. Sie betrachteten Bapaume mit jenem neugierigen und leicht misstrauischen Blick, mit dem man Fremde betrachtet in Ländern, in denen man diese selten zu Gesicht bekommt. Es wurde kalt und kälter. Louis spürte inzwischen schon seine Hände und Füße nicht mehr. Die Lichter in der Kirche riefen ihn an wie ein Versprechen auf Wärme. Ein Murmeln breitete sich um ihn aus, als er auf die Stufen trat. Gleichviel, ihm war schrecklich kalt.
    Sie hatten den Brettersarg im Querschiff abgestellt. Er war umrahmt von vier Kerzen. Louis schritt langsam nach vorn. Er bemerkte kaum den alten von Croft, der eine tröstende Hand in den Nacken des Küsters legte. Der saß auf einem Stuhl mit gerader Lehne, entrückt vor Schmerz, und betrachtete verständnislos, was vom Fleische seines Fleisches noch geblieben war. Bapaume ging in eine Seitenbank. Er ließ sich auf die Knie fallen, ohne jede Absichtzu beten, einfach weil Müdigkeit und Betroffenheit ihm die Beine wegzogen. Seine Lippen zitterten, in einer Art lautlosem Gestammel. Nichts füllt eine Kirche mehr aus als ein Puppensarg, weiß wie der unermessliche Schnee.

DER PLÜSCHBÄR

D as kleine Mädchen mochte acht oder neun Jahre alt sein. Die immer noch gefrorenen Schöße ihres Rockes ragten aus der schmalen Kiste. Feine Was sertröpfchen hüllten ihren Körper ein, und in der Wärme der Kerzen zu beiden Enden des Sarges stiegen zarte Dampfspiralen von ihren blonden Haaren und ihren Mokassins. Auf ihrem durchscheinenden Teint lagen seltsame Schimmer, blass und blau, hübsch sogar, wie Perlmutt einer Muschel. Man war versucht, sie in die Arme zu nehmen, um sie zu wärmen. Unter ihren leicht angehobenen Kopf – vielleicht hatte sie sich das Genick gebrochen – hatte jemand ein weißes Kissen geschoben. Ihre kleinen Fäuste waren ganz nah am Kinn, zusammengekrallt auf dem Kragen ihrer Lammfelljacke, als würde sie vom Grunde des Todes und für alle Ewigkeit vor Schrecken und Kälte weiterzittern.
    Der alte von Croft grüßte Louis mit einem angedeuteten Winken, ähnlich dem seines Vaters im Traum vom Vortag. Dann begriff er, dass der andere ihm eigentlich bedeuten wollte, den Hut abzunehmen. Louis tat es, errötend. In diesem Augenblick begann im Lettner die Orgel zu murmeln, ganz leise, als näherte man sich einem Gebirgsbach. Und vom dritten Takt an fragte sich Bapaume, ob er nicht im Begriff sei, den Verstand zu verlieren.
    Er ging zu der kleinen Toten und setzte ein Knie auf den Boden. Aus der Nähe war sie noch furchterregender. Man hatte ihr einen Rosenkranz um das Handgelenk gewickelt. Ein Rest Raureif schmolz in den Falten ihrer Kleider, trockene Bläschen bedeckten die Haut um Nasenlö cher und Lip pen, wie Verbrennungen, und Bapaume musste den Blick

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