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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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wollte nur mal testen, ob man tatsächlich bei Ihnen rauskommt, wenn man diese Nummer wählt. Bonne nuit.» Die ganze Nacht dachte ich an ihre Worte und kam dabei ins Schwitzen. Was sollte das heißen? Wollte sie, dass ich nach oben kam? Ich kam. Minutenlang stand ich vor ihrer Zimmertür, ging leicht geräuschvoll auf und ab, damit sie mich auch hörte. Klopfen konnte ich nicht. Ich hoffte, sie würde aufmachen, ich hoffte es so sehr. Jahre später ertappe ichmich immer noch dabei, wie ich hoffe, dass sie mir die Tür aufmacht.
     
    Ich musste wieder nach unten. Ich durfte meinen Arbeitsplatz nicht unbeaufsichtigt lassen. Als sie am nächsten Morgen abreiste, beachtete sie mich kaum. Mir wurde klar, dass ich umsonst vor ihrem Zimmer auf und ab gegangen war. So, wie ich auch umsonst zu einem Grab gepilgert war. Meine Versuche, zur Wollust vorzudringen, scheiterten nicht mit niederschmetternden Pauken und Trompeten, sondern prallten an der stillen Macht der Verzweiflung ab. Später sollte ich begreifen, dass man zum Finden nicht zu suchen braucht; seit Urzeiten leiert alle Welt diese absurde Weisheit her, aber sie stimmt. Ich sollte auch begreifen, und dies überraschte mich weit mehr, dass für den Roman dasselbe galt. Man muss nicht irgendwelchen Ideen hinterherjagen, verbissen an Konzepten feilen, es ist eher Sache des Romans, den ersten Schritt zu tun. Man muss nur empfänglich sein und ihn hereinlassen, wenn er an die Pforte der Eingebungen klopft. Die Gunst der Worte näherte sich mir im Verborgenen.
     
    Bei all dem, was ich zu berichten gewusst habe von der Geburtstagsüberraschung, die ich auf die Beine gestellt habe und bei der ich das Bild des nahezu perfekten Enkelkinds abgab, schaute ich doch immer seltener bei meiner Großmutter vorbei. Ich führte das auf meine leicht depressive Stimmung zurück; wer nicht geistig und seelisch gefestigt ist, braucht kein Altenheim zu betreten. Aber ich glaube,eigentlich gab es noch einen anderen Grund: Dass die Abstände zwischen den Besuchen größer werden, geschieht irgendwann wie von selbst. Und die Tendenz zur Abtrünnigkeit war allgemein (auch mein Vater ließ sich immer seltener blicken). Am Anfang war ich zwei oder drei Mal pro Woche gekommen. Dann war ich zu einem wöchentlichen Rhythmus übergegangen, bevor ich mich langsam auf ein Stadium zubewegte, in dem ich nur noch alle zwei Wochen erschien. Das Schlimmste dabei war, ich hätte eigentlich Zeit gehabt. Ich hätte durchaus öfter auf einen Sprung vorbeikommen können. Doch zuletzt hatte ich es als beklemmend empfunden, bei ihr zu sein. Es war vorgekommen, dass wir uns nichts Großartiges zu sagen gehabt hatten, und diese Situationen waren mir eine Qual. Meine Großmutter konnte beschwingt, lebenslustig, auch witzig sein, und ich spürte, dass sie sich besondere Mühe gab, wenn ich da war, aber die meiste Zeit verbrachten wir damit, über die Felder ihrer Einsamkeit zu ziehen. Ich dachte mir keine Geschichten mehr für sie aus, wie ich es früher getan hatte, sondern hatte einen kleinen Bestand an Anekdoten auf Lager. Vorher zurechtgelegte Worte, die von der Leere ablenken sollten. Aber ist es überhaupt so wichtig, dass man sich etwas zu sagen hat? Manchmal genügt es, einfach da zu sein. Kurz bevor er starb, hatte mein Großvater zu mir gesagt: «Bleib noch ein wenig.» Er lag im Sterben, es ging nicht mehr darum, irgendein Gespräch zu führen, und dennoch äußerte er den Wunsch nach meiner Gesellschaft. Warum war ich also im Begriff, meine Großmutter ihrem Schicksal zu überlassen? Diese Frage sollte mich noch lange beschäftigen: WelcheBedürfnisse haben Menschen im hohen Alter? Sie ziehen sich auf ihrem Marsch ins weiße Nichts allmählich zurück. Die einstigen Gesprächsthemen sind abgehakt. Und wir stehen da und beugen uns über ihren Gram.

24
Erinnerungen der Russin, deren Namen ich nicht kenne
    In ihrer Kindheit, die sie großteils in Sankt Petersburg verlebte, war sie mit ihrer Mutter meist allein. Der Vater war ein Industrieller und viel auf Reisen, die ihn hauptsächlich nach Paris führten. Von dort brachte er immer Geschenke mit, einen Parfumflakon aus dem Hause Guerlain, eine Nachbildung des Eiffelturms, ein Buch von Balzac oder Makronen von Ladurée. Sie stellte sich dieses Land ihres Vaters vor, das in ihrer Phantasie geradezu feenhafte Züge annahm. Es ist nicht so selten, dass die Liebe eines Kindes zu einem Elternteil sich umgekehrt zu dessen Anwesenheitshäufigkeit verhält.

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