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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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tanzen gehen mochte er auch nicht mehr. Er lud sich die Freunde von früher ein. Sie tranken guten Rotwein und redeten über vergangene Zeiten. Emmi fing an, sich zu langweilen und suchte Zerstreuung, was Doktorchen, wie sie ihn titulierte, nicht weiter störte, im Gegenteil. Geh nur, Schmucki, sagte er, amüsier dich!
    Eines Tages, sie saßen beim Frühstück, eröffnete er seiner jungen Lebensgefährtin: Ich werde mich von dir trennen, Schmucki. Du bist zu jung für mich. Ja, ja, Doktorchen, lachte sie, ist ja gut, sie kannte seine Witze. Es ist eine Jugendfreundin, fuhr er fort, wir sind seit drei Monaten zusammen, stell dir vor, sie hat immer noch dieselbe kurze Strubbelfrisur wie damals an der Uni! Nun ist sie sechzig, sieht aber zehn Jahre jünger aus, sie schreibt an einem Buch über das soziale Umfeld von Langzeit-Drogensüchtigen.
    Strubbelfrisur, sagte Emmi tonlos, Strubbelfrisur. Sie begriff, dass es ihm ernst war, und erbleichte. Sie hatte sich auf ein Leben mit dem alten Mann eingerichtet. Auch mit dem Dunklen, was kommen könnte, Krankheit und Tod, und dass sie ihn vielleicht pflegen würde, und jetzt das. Emmi verstand die Welt nicht mehr: Eberhard, so hieß der Abtrünnige, verließ sie wegen einer Älteren. Er streichelte ihr blasses Gesicht, ich bin immer für dich da, sagte er, aber Annemone und ich, wir haben denselben Subtext in der Seele.
    Annemone und Eberhard leben seitdem zusammen. Sie passt zu ihm. Weil sie gern neben ihm auf dem Sofa sitzt und Rotwein trinkt. Weil sie seine Ansichten teilt und ihm selten widerspricht. Weil sie nichts von ihm verlangt. Weil sie solidarisch ist in Bezug auf ihr gemeinsames Alter. Sie toleriert, wenn er sich beim Erzählen wiederholt, er muss seine Zahnprothese nicht verheimlichen, muss seinen Gang nicht jugendlich halten, es kann ihm egal sein, wenn er das Zirpen der Grillen nicht mehr hört. Sie sehen dieselben Fernsehsendungen über Wehrmacht, Hitler, Holocaust und den Wüstenfuchs Rommel, sie haben die selben Erinnerungen. Die Anforderungen, die sie aneinander stellen, sind maßvoll, sie erwarten voneinander nichts als Zusammengehörigkeit. Was findest du an ihr, hatte Emmi ihn gefragt. Ich finde mich, hatte Eberhard geantwortet, mich finde ich.

ECHO III
    Der Preis
    Sibylle ist, was man die Frau meiner Träume nennt. Dunkle Lockenmähne, blaues dekolletiertes Kleid, sinnliche Formen. Die Augen in einem unablässigen Hochdruck der Gefühle, ein wenig hervortretend, gerade richtig für die Leinwand, Melancholie und Lebenslust im Kampf um die Stimmungslage. Ich werde meinen Mann beim Sterben begleiten, wenn es soweit ist, sagt sie, das ist die unausgesprochene Verabredung. Das Lokal ist fast leer, eine schmale Bar, kleine runde Tische. Die Männer hinter dem Tresen sind Anfang zwanzig und wirken schwerelos. Eine Stunde vor Thekenschluss, wir trinken Campari, draußen regnet es in die Nacht.
    Sibylle ist achtunddreißig, ihr Mann vierundvierzig Jahre älter. Sie war achtzehn, er zweiundsechzig, als sie sich kennenlernten in dem Theater, an dem er Regisseur war. Er hat sie umworben, mit seiner Berühmtheit, seiner Verliebtheit, seiner Fürsorge. Mit den Rosen und Büchern, die er ihr vor die Tür legte. Mit seiner Weltgewandtheit, es war das Jahr Neunundachtzig. Er ließ sich scheiden für sie. Ihre tiefen dunklen Augen sahen nur die Momentaufnahme – das blutjunge Mädchen und der kluge, berühmte Regisseur, welch ein Bild, welch ein Paar! Man fuhr im Auto nach Italien, sie trug ein langes weißes Kleid und einen riesigen Strohhut,der Mann an ihrer Seite war ihr Prinz, ihr Professor Higgins, ihr Ehemann. Irgendwann bekamen sie einen Sohn.
    Am Anfang hatte sie ihn nicht gefragt, wie alt er sei, es interessierte sie nicht, sie war überwältigt. Sie dachte nicht an morgen, war fixiert auf den Augenblick, auf den Punkt, an dem sie beide standen, umarmt und verliebt, blind für die Perspektive. Zwei Jahre später hatte sie in der Universitätsbibliothek in einem Theaterlexikon nach seinem Geburtsjahr geguckt; dass sie ihn nicht selbst gefragt hatte – Feingefühl oder Flucht vor der Realität. Sie hatte sich schon immer zu Älteren hingezogen gefühlt, als Einzelkind war sie unter Erwachsenen groß geworden, ihre Mutter hatte den Vater verlassen und das Kind Sibylle auch. Als dann der Vater von der in seinen Augen skandalösen Liaison mit Max erfuhr, brach er den Kontakt mit seiner Tochter ab, er verstand nicht, wie sie einen Mann nehmen konnte, der ihr

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