Spaghetti in flagranti
was sie in großer Runde mehrfach lobend erwähnten – vielen Dank auch! Zia Giusi war meine Patentante, und da die beiden selbst keine Kinder hatten, fühlten sie sich angesichts der teutonischen Bedrohung in Form eines jungen Mannes, der ihrer Angelina bella gefährlich werden konnte, offenbar für mein Wohlergehen mit verantwortlich.
»Sie müssen das verstehen, Signor Otto, unsere Angela ist etwas ganz Besonderes. Da müssen Sie uns schon verzeihen, dass wir etwas genauer wissen wollen, mit wem sie so … zu tun hat«, sagte mein Onkel.
Er thronte auf babbos Fernsehsessel, während Otto neben mir auf dem Sofa saß – unter dem aufmerksamen Blick meines Vaters, versteht sich, der sich jedoch selbstverständlich nichts anmerken lassen wollte und daher bloß alle paar Minuten aus den Augenwinkeln zu uns herüberschielte.
Mir kam die ganze Veranstaltung vor wie die Generalprobe einer schlechten Laienschauspieltruppe, doch Otto schien sich zu amüsieren und antwortete selbst auf die dämlichste und unverschämteste Frage noch höflich und freundlich. Ich bewunderte ihn einmal mehr dafür, denn ich wusste nicht, wie ich an seiner Stelle reagiert hätte. Obwohl, ich spielte dieses Theater ebenfalls ohne zu murren mit, wenn auch aus einem simplen Grund: in der Hoffnung, babbo damit beweisen zu können, dass Otto ohne jeden Zweifel der Richtige für mich war. In Anbetracht unseres Vater-Tochter-Gesprächs war mir das erst recht wichtig.
Nachdem zia Giusi und ihr Mann gegangen waren, kam mir allerdings ein Verdacht, und ich fragte mich, ob mein Vater seine Schwester zu dieser Inaugenscheinnahme womöglich angestachelt hatte. Normalerweise beschränkte sich der Kontakt zwischen mir und meiner Patentante nämlich auf einen Umschlag mit einer nicht verachtenswerten Anzahl an Geldscheinen zu Weihnachten und zum Geburtstag. Zum letzten Mal hatten sich die beiden vor sechs Jahren bei uns zu Hause blicken lassen, zur Kommunion der Zwillinge.
Meine Eltern fuhren die Schwester von babbo und ihren vermögenden Mann, einen pensionierten Maschinenbauingenieur, dagegen regelmäßig besuchen, vorzugsweise im Sommer, denn dann gingen sie ins Ippodromo del Savio. Zio Gaetano war auch so gut wie jedes Mal mit von der Partie – einen Abend auf der Trabrennbahn ließ er sich garantiert nicht entgehen. Genauso wenig wie eine Begegnung mit einer schönen jungen Frau oder Otto.
Der betagte Womanizer hatte, ganz im Gegensatz zu babbo , einen Narren an meinem Freund gefressen und schien ihn im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht auf die aus seiner Sicht rechte Bahn lenken zu wollen, was mir überhaupt nicht behagte.
»Du hast immer nur Augen für Angela«, sagte er beispielsweise zu Otto, als wir einmal mit der kompletten Sippe in der Pizzeria saßen. Mein Onkel konnte den Blick von der zugegeben attraktiven zwanzigjährigen Kellnerin kaum abwenden, während Otto sie bisher nicht mal wahrgenommen zu haben schien. »Du begehst einen großen Fehler, mein Junge. Du lässt dir die schönsten Anblicke entgehen. Sünde nennt man so was. Ts, ts, ts.«
Er dachte, ich könnte ihn nicht hören, weil ich mich gerade mit meiner Mutter und nonna über eine gemeinsame Bekannte unterhielt. Aber er hatte die Rechnung ohne mein feines Gehör und die weibliche Multitaskingfähigkeit gemacht. Erst wollte ich mich einmischen und ihm sagen, was ich von seinen Ansichten hielt, doch dann lehnte ich mich beiläufig ein Stück zur Seite und spitzte die Ohren, während ich so tat, als hörte ich mamma zu. Ottos Antwort interessierte mich brennend, schließlich hatte er mir an dem Abend in der Eisdiele noch damit gedroht, bei Gaetano in die Lehre zu gehen.
»Na, ich finde, deine Nichte bietet den schönsten Anblick überhaupt. Da wäre es doch eine Sünde, wenn ich die Augen auch nur eine Sekunde von ihr abwende«, antwortete Otto mit einem Zwinkern in meine Richtung. Er hatte meinen stümperhaften Lauschangriff nämlich sehr wohl bemerkt.
Zio Gaetano stieß empört die Luft aus. »Pah, ihr Deutschen habt ja keine Ahnung. Wenn man sich als Mann an nur eine Frau verschwendet, ist das eine Schande für den männlichen Genpool. Kein Wunder, dass euer Volk ausstirbt.«
»Moment mal«, widersprach mein Freund sichtlich amüsiert, »die Geburtenrate in Italien ist meines Wissens eine der niedrigsten der Welt.«
»Das liegt aber nicht an mir!« Zio Gaetano ließ mit Nachdruck die rechte Hand durch die Luft sausen. »Ganz gewiss nicht.«
»Dann besteht ja noch
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