Spaghetti in flagranti
ließ das Fenster herunter.
» Hello, Mister «, sagte ich so charmant, wie es mir in dieser angespannten Situation nur möglich war, und fuhr in meinem besten Englisch fort: »Könnten Sie vielleicht bitte einen oder zwei Meter zurücksetzen, damit ich hier herauskomme? Auf dieser Spur geht es offenbar nicht weiter. Ich bin ein klitzekleines bisschen spät dran und habe einen wichtigen Termin, und wenn ich nicht rechtzeitig komme, ist mein restliches Leben verpfuscht.« Das war zwar reichlich dick aufgetragen, aber da ich aus eigener Erfahrung wusste, dass Holländer grundsätzlich etwas schwer von Begriff waren, konnte ein bisschen Drama nicht schaden.
Er schaute mich an, als hätte ich ihn um einhunderttausend Euro gebeten. Mit vorgehaltener Waffe. Dann lächelte er. »Klar doch, für so eine hübsche Frau tue ich fast alles.«
» Grazie mille! « Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln und ging zu meinem Wagen zurück, in dem Otto mittlerweile nassgeschwitzt wartete.
»Was soll das?«, blaffte er mich an. »Du kannst doch nicht einfach mitten auf der Autobahn aussteigen! Willst du dich umbringen?«
»Nein, ich will uns nach Cesena bringen, und zwar innerhalb der nächsten Viertelstunde. Ich mache das hier schließlich alles nur wegen uns. Oder ist dir unsere gemeinsame Zukunft etwa egal? Da hat mein Vater sich extra für dich …« Weiter kam ich nicht.
»Das hatten wir doch schon. Ich bin deiner Familie sehr dankbar für die tatkräftige Unterstützung und weiß es auch zu schätzen«, sagte er und meinte es garantiert nicht so.
Doch das war mir jetzt gleichgültig. Genauso wie die Tatsache, dass er das Praktikum ohnehin ausschlagen wollte. Hier ging es schließlich ums Prinzip. »Wenn du entscheiden dürftest, würden wir den ganzen Tag auf der Autobahn verbringen. Mann, Otto, jetzt mach dich mal locker.« Er brachte mich echt auf die Palme mit seiner korrekten deutschen Art.
»Was haben Verkehrsregelüberschreitungen in ihrer schlimmsten Form mit Lockermachen zu tun?«
Ich winkte ab. »Ach, von wegen Überschreitung. Wir Italiener können eben differenzieren, wann es sinnvoll ist, eine Regel zu befolgen, und wann man sie in Frage stellen oder ein bisschen dehnen muss.«
»Pah, dehnen. Du bringst uns hier in Lebensgefahr. Da mache ich nicht mit!« Damit griff er zum Zündschloss und zog den Schlüssel ab.
»He, lass das!«
Da war endlich der Holländer bereit wegzufahren, und nun vermasselte mir dieser hyperkorrekte deutsche Spießbürger, der zufällig mein Freund war, meinen tollen Plan.
Nicht mehr lange, dachte ich und grabschte nach dem Schlüssel. Otto war so überrascht, dass ich tatsächlich den Wagen anlassen konnte. Der Holländer machte uns Platz, und ich fuhr mit so wenig Abstand wie nur möglich hinter meinem Landsmann her. Nicht auszudenken, wenn sich der nächste Wagen in die frei werdende Lücke geschoben hätte und ich die ganze Chose noch mal von vorne hätte beginnen müssen.
Ohne auf den zeternden Otto neben mir zu achten, brachte ich einen Peugeot-Fahrer auf der rechten Spur, wo sich die Kolonne nach wie vor im Schritttempo vorwärtsbewegte, per Handzeichen dazu, dass er mich einfädeln ließ.
Zufrieden bedankte ich mich und schenkte dem Miesepeter neben mir ein triumphierendes Lächeln. »Na siehst du«, sagte ich, »so regelt man das in Italien.«
Otto hatte es offenbar die Sprache verschlagen, denn er starrte erneut angestrengt aus dem Fenster und war nicht gewillt, mit mir in Dialog zu treten. Aber vielleicht war das auch besser so. Schließlich musste er sich auf den Termin konzentrieren und konnte es sich außerdem nicht leisten, seinen schönen Anzug durchzuschwitzen – sei es nun aus Angst oder aus Wut auf seine eigenwillige italienische Freundin. Und auch ich musste meine Kräfte für den concorso aufsparen.
Die Menschheit ist undankbar, und der deutsche Teil davon ganz besonders, dachte ich und freute mich, als sich knapp zwei Kilometer später der Stau auflöste und ich wieder Gas geben konnte. Damit stand dem ersten Schritt auf unserem Weg in eine gemeinsame Zukunft vorerst nichts mehr im Weg.
Drei Stunden später trat ich bestens gelaunt und bei strahlendem Sonnenschein aus dem tristen Bürokomplex auf die Straße und eilte zu der Bar, in der Otto und ich uns verabredet hatten. Wer zuerst fertig war, würde auf den anderen warten, hatten wir ausgemacht.
Als ich vor der Bar über die Ampel ging, sah ich ihn schon hinter der Scheibe auf einer Lederbank
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