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Special - Zeig dein wahres Gesicht

Special - Zeig dein wahres Gesicht

Titel: Special - Zeig dein wahres Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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verschlimmern.
    Tallys Software ließ ein Ping hören - wieder waren zehn Minuten vergangen. Sie rief das andere Brett dichter heran und sprang über den leeren Raum. Für einen Moment hing sie über Sand und Gestrüpp, dann legte sie eine perfekte Landung hin.
    Sie ertappte sich bei einem grimmigen Lächeln. Wenn sie abstürzte, würde kein Gitter unter ihr sie auffangen, da unten gab es nur kompakten Sand, über den sie mit hundert Stundenkilometern dahinjagte. Aber die Zweifel und die Ungewissheiten, unter denen sie immer gelitten hatte, über die Shay sich so gar noch beklagt hatte, als Tally schon zur Schlitzerin geworden war, waren jetzt endlich weggebrannt worden.
    Gefahr spielte keine Rolle mehr. Nichts spielte noch eine Rolle.
    Sie war jetzt wirklich etwas Besonderes.
    ***
    Als die Abenddämmerung einsetzte, erreichte Tally die Bahnlinie, die an der Küste entlangführte.
    Sie hatte schon den ganzen Nachmittag lang Wolken über dem Meer gesehen, und als die Sonne jetzt unterging, wurde ein schwarzer Vorhang entrollt und bedeckte Sterne und Mond. Eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit verschwand die Hitze, die in den Schienen gespeichert gewesen war, und damit war der Weg sogar für Infrarotsicht unsichtbar. Tally navigierte nach Gehör, sie benutzte nur das Tosen der Brandung, um ihren Kurs zu halten. Hier über den Metallschienen würden ihre Armbänder sie bei einem Sturz auffangen.
    Als die Morgendämmerung anbrach, schoss Tally über ein Lager von verschlafen aussehenden Flüchtlingen hinweg. Sie hörte Rufe hinter sich, und als sie sich umschaute, sah sie, dass ihr Flugwind die Glut des Lagerfeuers über das trockene Gras verteilt hatte. Die Flüchtlinge rannten hin und her, um das Feuer am Ausbreiten zu hindern, sie schlugen mit Schlafsäcken und Jacken auf die Flammen ein und kreischten wie eine Bande von Blubberköpfen.
    Tally flog immer weiter. Sie hatte keine Zeit, um kehrtzumachen und zu helfen.
    Sie fragte sich, was aus all den Flüchtlingen werden sollte, die nach wie vor durch die Wildnis wanderten. Konnte Diego überhaupt noch Helikopter zur Verfügung stellen, um sie abzuholen? Wie viele zusätzliche Bürger konnte das neue System verkraften, jetzt, wo es um seine eigene Existenz kämpfen musste?
    Natürlich würde Andrew Simpson Smith nicht begreifen, dass Krieg herrschte. Er würde weiter seine Positionsfinder verteilen, die nirgendwohin führten. Die Flüchtlinge würden die Sammelpunkte erreichen, dort aber nicht abgeholt werden. Sie würden langsam die Hoffnung verlieren, und wenn dann ihre Nahrungsmittel und ihre Geduld zu Ende waren, würden sie schließlich die Heimkehr antreten.
    Einige mochten es schaffen, aber sie alle kamen aus den Städten und hatten keine Ahnung von den Gefahren, die hier draußen lauerten. Und ohne ein Smoke, das sie willkommen hieß, würden die meisten von der Wildnis verschlungen werden.
    ***
    In der zweiten Nacht ihres pausenlosen Fluges stürzte Tally.
    Ihr war gerade aufgefallen, dass ein Brett Probleme machte, irgendein mikroskopisch kleiner Defekt im vorderen Hubrotor ließ es heißlaufen. Sie hatte es schon einige Minuten lang beobachtet, und weil sie dabei eine detaillierte Infrarotsicht vor ihre normale geschoben hatte, sah sie den Baum einfach nicht.
    Es war eine niedrige Kiefer, deren obere Nadelschicht von der salzigen Gischt zu einem unbeholfenen Haarschnitt zurechtgestutzt worden war. Das Brett, auf dem Tally stand, traf einen Ast, brach ihn durch und ließ Tally kopfüber abstürzen. Ihre Auffangarmbänder fanden das Metall der Bahnlinie gerade noch rechtzeitig. Sie brachten Tally nicht zu einem abrupten, baumelnden Halt, wie das bei einem geraden Fall nach unten passiert wäre, sondern ließen sie über der Bahnlinie entlangholpern. Einige wilde Augenblicke hindurch hatte Tally das Gefühl, vor einen uralten Zug geschnallt worden zu sein. Die Welt jagte zu beiden Seiten vorbei, die dunklen Schienen erstreckten sich vor ihr ins Schwarze, die Schwellen verschwammen unter ihren Füßen.
    Sie fragte sich, was passieren würde, wenn die Bahnlinie plötzlich eine Kurve beschrieb, ob die Armbänder sie dann um diese Kurve tragen oder sie einfach auf den Boden fallen lassen würden. Oder von der Klippe ...
    Die Gleise führten jedoch stur und gerade weiter, und nach hundert Metern ließ Tallys Schwungkraft endlich nach. Die Armbänder setzten sie ab. Ihr Herz hämmerte, aber sie war unverletzt. Beide Bretter fingen eine Minute darauf ihr Signal ein

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